Zürich-Schwamendingen
Projektwettbewerb, 2017
Stadtraum und Quartier
Der von A. H. Steiner um 1948 als Gartenstadt entworfene Stadtteil Schwamendingen besitzt noch heute seine Gültigkeit und hat viel von seinem ursprünglichen Charakter als Zürichs «Gartenzimmer» behalten. Er zeichnet sich durch weitläufige Wohnquartiere mit zeilenförmigen Bauten von geringer Dichte und durchlässigen Aussenräumen aus. Infolge der anstehenden Erneuerung von grossen Baufeldern im gesamten Quartier stellt sich die Frage, ob und in welcher Art die bestehenden Qualitäten trotz der deutlich höheren Bebauungsdichte beibehalten werden können. Die Projektverfasser sind der Meinung, dass die Eigenarten des Steinerplans, der durchgrünte Stadtkörper mit einer offenen Siedlungsstruktur, gerade heute einer zeitgemässen Wohnvorstellung entsprechen und weiterentwickelt werden können, sodass trotz der anstehenden Transformation die Qualität eines homogenen Stadtquartiers erhalten wird.
Die Qualität des Steinerplans liegt in seiner formalen Homogenität. Diese wird massgebend durch die repetitive und egalitäre Anwendung des Zeilenbautyps und durch einen kontinuierlich fliessenden Freiraum erreicht. Weitläufige Rasenflächen und oftmals feine Abstufungen der Nutzungsintensitäten und Öffentlichkeitsgrade prägen den Charakter des Freiraums. So wie bei den Häusern eine klare Ausformulierung von Strassen- oder Gartenfassaden unterspielt wird, werden im Freiraum explizit Ausformulierungen von Zugangs- oder Gartenseiten oder von scharf determinierten Aussenraumtypen vermieden.
Der vorliegende Entwurf knüpft an die inhaltlichen und formalen Qualitäten des Steinerplans an. Gemäss dem städtebaulichen Leitbild der Stadt Zürich zählt das Areal Herzogenmühle in der Einstufung des Ortsbildes zu den wichtigen Wohnsiedlungen. Die Situation wird auch in Zukunft durch ein hohes Mass an Permanenz geprägt. Sowohl die kleinteiligen Strukturen im Osten wie auch die Zeilenbauten im Norden zeichnen sich durch eine fragmentierte Eigentümerstruktur aus und werden sich daher nicht grundlegend und in grossen Einheiten wandeln. Schliesslich werden auch die öffentlichen Bauten im Westen eine hohe Beständigkeit aufweisen. Das Projekt lotet in diesem Kontext die verträgliche Dichte aus.
Baukörper und Aussenraum
Der Entwurf adaptiert den Zeilenbautyp formal neu. Die charakteristischen Zeilenformen reagieren auf die höhere Dichte über Enge und Weite im Aussenraum sowie über in der Perspektive verkürzte Baukörper. In der egalitären Behandlung von Orientierung, Aussenraum und Strassenbezug sowie in der Vernetzung und Durchwegung knüpft das Projekt an den Qualitäten des Steinerplanes an.
Das Projekt sieht fünf Zeilen vor, die jeweils aus unterschiedlichen Typenmodulen zusammengesetzt sind, gespiegelt angeordnet werden und das gesamte Baufeld aufspannen. Die Zeilen werden in ihrer Länge über jeweils einen Knick gebrochen und an der Stelle knotenartig verdickt. Es resultiert ein Gleichgewicht zwischen Bebauung und Freiraum, bei dem die modulierten Zwischenräume einen ähnlichen Gestaltcharakter erlangen wie die Baukörper selbst. Die Aussenräume wandeln sich dabei in der Wahrnehmung stetig. In der Bewegung öffnen und schliessen sich Blicke in die Tiefe des Areals.
Die schlanken Zeilen mit rund zwölf Metern Tiefe in den ersten drei Geschossen und rund zehn Metern in den oberen drei Geschossen weisen aufgrund des wechselseitigen Rücksprungs einen «doppelten Horizont» auf, der einen Bezug zu den Traufen der umgebenden Bebauung herstellt. Dieser Absicht folgt auch ein Wechsel in der Farbigkeit zwischen unteren und oberen Geschossen. In der Länge werden die Baukörper zudem über leicht vortretende Risalite und Balkontürme gegliedert und rhythmisiert.
Zwischen den Ost-West-orientierten Bauten verlaufen jeweils schmale, S-förmige Wege, die sich zwischen Kreuzwiesen und Heidwiesen spannen. Sie haben eine dreifache Funktion: Erstens dienen sie der wechselseitigen Erschliessung der Häuser, zweitens geben sie in der Querung zwischen zwei Häusern Zugang zu den Binnenräumen und drittens schaffen sie eine Durchwegung des Quartiers in nordsüdlicher Richtung. Sie führen damit die vorhandene quartierstypische Sekundärerschliessung fort und gewähren eine Vernetzung mit den umgebenden Siedlungen. Mit dem Wechsel von einer Gebäudeseite zur anderen sind sie zudem Teil der beschriebenen Aussenraumdramaturgie.
Der Heidwiesen wird zur Begegnungszone umgebaut. Die Neugestaltung und Aufwertung der Heidwiesen trägt zu einer Verbesserung des eher «ungenügenden» öffentlichen Freiraums im Quartier bei. Die Strassenkante zum Areal Herzogenmühle wird dabei aufgelöst, indem intarsienartige, chaussierte Plätze begrünte und asphaltierte Flächen verklammern. Auf diesen Plätzen werden verschiedene Einrichtungen für den Aufenthalt älterer Menschen, Jugendlicher, Familien und Kinder angeboten. Im Bereich des mittigen Baukörpers weitet sich die befestigte Fläche zum Haus hin aus, das den Platzraum über seine spezifische Gebäudeform umklammert. Hier befindet sich im direkten Anschluss der Gemeinschaftsraum der Siedlung.
Das Bepflanzungskonzept mit Baumgruppen auf einer Blumenwiese sieht vor, im Norden jeweils die Wegeintritte vom Heidwiesen zu besetzen. Im südlichen Abschluss sind die Baumgruppen jeweils gegenüberliegend zu den Wegen den Gebäudeecken zugeordnet. Entlang des Glattstegweges und der Schürigstrasse ergänzen einzelne Baumpflanzungen die Situation. Die Bereiche über der Tiefgarage werden nicht mit Bäumen bepflanzt.
Die Tiefgaragenzufahrt befindet sich am Glattstegweg und wird ins Gebäude integriert. Die Veloabstellplätze werden zu zwei Dritteln im Gebäude untergebracht und auf sämtliche Hauseingänge verteilt. Das verbleibende Drittel wird dezentral und ungedeckt auf die einzelnen Zugänge verteilt und mit den Besucherparkplätzen kombiniert.
Häuser und Wohnungen
Der vorgeschlagene Wohnungstyp ist aus der städtebaulichen Setzung entwickelt und unterstreicht die Schlankheit der Gebäudezeilen. Er vereint die Qualitäten des Ost-West-orientierten Durchwohnens mit den Vorzügen eines abschliessbaren Wohnzimmers, das bezüglich der Wohnform und Belegung der Wohnungen unterschiedliche Möglichkeiten eröffnet. Das leichte Vortreten der Wohnzimmer in flachen Risaliten erlaubt in jeder Wohnung neben der primären Ost-West-Orientierung auch einen Blick nach Norden und Süden in die Tiefe des Aussenraums und ins angrenzende Quartier.
Die Hauszugänge befinden sich jeweils wechselseitig an den Längsseiten der Zeilen und verleihen den Gebäuden eine Allseitigkeit. Von den Eingangshallen, wo sich die Veloräume, Bastelräume sowie die zumietbaren Zimmer befinden, gelangt man in die Treppenhäuser, welche jeweils zwei respektive drei Wohnungen pro Geschoss erschliessen. Durch die Situierung der zumietbaren Zimmer und 1-Zimmer-Studios im Erdgeschoss wird eine höhere Flexibilität in der Vermietung erreicht, als wenn diese einem Geschoss und einer bestimmten Wohnung zugeordnet würden. Sie sind für alle Wohnungen gleichwertig zugänglich. Die Wohnungen im Erdgeschoss befinden sich wie für das Quartier typisch auf einem Hochparterre. Durch abgesenkte respektive überhohe Bereiche des Wohnraumes werden baurechtlich das «Zürcher Untergeschoss» sowie die Konformität mit der SIA500 sichergestellt.
Die Wohnungen haben durchgängige, zweiseitig orientierte Wohn-Essbereiche mit Sichtbezügen in beide Aussenräume. Das Wohnzimmer ist bei fast allen Wohnungen abschliessbar und eröffnet bezüglich Wohnform und Belegung unterschiedliche Möglichkeiten. Der in den ersten drei Geschossen eingezogene Balkon zoniert den Wohnraum, sodass neben dem Essen und Kochen auch hier ein Wohnbereich mit kleinem Sofa eingerichtet werden kann. Der durchgehende Wohnraum wird durch eine Spreizung des Treppenhauses und die äquivalente Schrägstellung einer Innenwand analog den Aussenräumen fein moduliert als Hauptraum der Wohnung ausgezeichnet.
Die einfachen Grundrisse weisen offene und grosszügige Räume auf und besitzen einen hohen Nutzwert. Alle Wohnungen verfügen über ein abgeschlossenes Entrée mit Garderobe sowie je nach Wohnungsgrösse über unterschiedlich grosse Stauräume. Die privaten Aussenräume sind in den ersten drei Geschossen eingezogen und bieten Schutz vor Einblick. In den oberen drei Geschossen sind die Balkone vorgestellt und zweiseitig offen.
Die altersspezifischen Wohnungen sind um vier Treppenhäuser in den zwei westlichen Häusern gruppiert und werden über den Zugangsweg mit einander verbunden. Es befinden sich keine Familien- über Alterswohnungen und umgekehrt. Die 5-Zimmer-Wohnungen liegen in den Knoten, wo eine ausreichende Fassadenabwicklung respektive Belichtung der Zimmer gegeben ist.
Architektonischer Ausdruck und Materialisierung
Mit dem architektonischen Ausdruck werden, dem städtebaulichen Konzept folgend, die Themen der steinerschen Gartenstadt reflektiert. Die schlanken Gebäudekörper verfügen über ein dünnhäutiges Fassadenkleid in dezenter Buntheit und werden mit flachen Risaliten und leicht wirkenden Balkontürmen gegliedert und rhythmisiert.
Die modulierten Gebäudekörper werden mit einem dünnen Fassadenkleid aus durchgefärbten Eternitplatten verkleidet. Der Farb- und Formatwechsel des Eternits gliedert die sechsgeschossigen Baukörper in der Höhe. Das eierschalenfarbene Eternit der unteren Geschosse baut Bezüge zur dezenten Farbigkeit der verputzen Bestandsbauten auf. Die hellen Holzmetallfenster in eloxiertem Aluminium verfügen über eine einfache Kreuzteilung und einen Sturz, sodass die Wandfläche betont wird. Das hinterlüftete Fassadensystem weist eine hohe Beständigkeit auf.
Die Tragstruktur wird als konventioneller Massivbau in Ortbeton und Backstein erstellt. Die Grundrisse bauen über alle Geschosse auf dem gleichen Layout auf, sodass eine durchgehende vertikale Lastabtragung gegeben ist. Auch die Schächte sind in der Vertikalen aufeinander abgestimmt. Die Fassade aus vorfabrizierten Holzelementen unterstreicht den Charakter der schlanken Bauten, verbessert die Grauenergiebilanz und hilft den Minergie-P-Standard zu erreichen. Die Materialien des Innenausbaus sind zweckmässig und robust. Bei der Konstruktion wurde auf eine weitgehende Systemtrennung geachtet, sodass Bauteile entsprechend ihrer Lebensdauer einfach ersetzt werden können.
Mit dem architektonischen Ausdruck wie auch der vorgeschlagenen städtebaulichen Setzung der neuen Siedlung werden die Themen der Gartenstadt Steiners reflektiert und in einer zeitgemässen Architektur und Dichte weiterentwickelt. Die Siedlung verwebt sich in selbstverständlicher Art mit dem städtebaulichen Kontext und spiegelt in eigenständiger Weise die Themen der Gartenstadtidee wider.
Mitarbeit Wettbewerb
Peter Baumberger, Karin Stegmeier, Ron Edelaar, Elli Mosayebi, Christian Inderbitzin, Phillip Türich, Kevin Dröscher, Reto Gasser, Jakub Gondorowicz, Sébastien Ressnig
Zusammenarbeit
Baumberger Stegmeier Architektur (BS+EMI Architektenpartner AG)
Bauherrschaft
Milchbuck Baugenossenschaft, Zürich
Landschaftsarchitekt: Studio Ilmar Hurkxkens, Zürich