Erlenbach, 2015–2021
Studienauftrag, 2015, 1. Preis
Städtebau und Volumetrie
Ausgangspunkte für die Entwicklung der Volumetrie bilden die charakteristische Parzellenform sowie die landschaftlichen Qualitäten des Ortes mit drei spezifischen Orientierungen. Die Charakteristik der Grundstücksform besteht in einer «Spreizung» des Parzellenzuschnitts, die von der leichten Biegung in der Berglistrasse herrührt: das Grundstück verfügt über einen vergleichsweise kurzen Strassenanstoss und öffnet sich zum Wald sowie dem Tobeleinschnitt des Erlenbacher Dorfbaches.
Die landschaftlichen Qualitäten des Anwesens bestehen nicht zuletzt aufgrund des Parzellenzuschnitts in einer hohen Präsenz vom Tobelwald im Westen sowie einer dominanten Sichtachse in und über die Baumkronen in den Tobeleinschnitt des Dorfbaches in Richtung Südwesten. Als dritte landschaftliche Orientierung kommt der Blick auf den Zürichsee in Richtung Südosten hinzu, der sich spätestens in den oberen Geschossen über das Dach des südlichen Nachbarn hinweg öffnet.
Die charakteristische Grundstücksform mit ihren drei landschaftlichen Raumqualitäten – dem Wald, dem Tobeleinschnitt und dem Zürichsee – findet in einer Volumentrie mit Y-förmiger Grundfläche ihre Entsprechung. Das Volumen verfügt über eine schmale Stirnseite, die den Anschluss an der Berglistrasse schafft und öffnet sich dann mit zwei weiteren Armen einerseits zur Waldkante und andererseits zu den Baumkronen des Tobeleinschnitts. Die volumetrische Kehle nach Südosten fasst schliesslich die Ausblicke auf den Zürichsee.
Dieser Logik entsprechend werden durch das Volumen unterschiedliche, zonierte Gartenräume geschaffen und im Innern fein abgestufte Bereiche mit sehr privatem bis gemeinschaftlichem Charakter gebildet.
Nutzungskonzept und Wohnungen
Die Grundidee des Nutzungskonzeptes besteht darin, dass individuelles und gemeinschaftliches Wohnen nicht scharf getrennt wird, sondern vielmehr ineinander übergehen kann: Der Gemeinschaftswohnraum dient dabei als Erweiterung der Wohnungen für grosse Essen mit Gästen, gemeinsame Abende unter den Hausbewohnern, als repräsentative Eingangshalle usw. («shared living»).
Das Gelenk zwischen individuellem und gemeinschaftlichem Wohnen bildet eine Split-Level-Treppe, welche drei der vier Wohnungen nicht nur funktional, sondern auch räumlich mit dem Gemeinschaftsbereich verbindet. Auf der Wohnungsseite ist an der Treppe jeweils die Küche – der am wenigsten private Raum der Wohnung – angelagert. Die weiteren Räume der Wohnungen werden dann zunehmend intimer, in den Räumen zum Tobel und Wald schliesslich gibt es keine gegenseitigen Einsichten mehr. Es werden Raumfolgen mit einer sukzessiven Privatisierung angeboten. Die gemeinschaftlichen und individuellen Wohnräume werden über die südöstliche Gebäudekehle zu einer Enfilade zusammengefasst. Das Split-Level schafft über alle Geschosse hinweg eine räumliche Kontinuität, die sich von einem konventionellen Geschosswohnungsbau absetzt.
Die vier Wohnungen bauen auf einer Raumstruktur auf, die vom Garten- bis Dachgeschoss nahezu durchgehend identisch ist. Im Gartengeschoss bildet diese Grundeinheit eine 2.5-Zimmer-Wohnung, auf den beiden Regelgeschossen je eine 3.5-Zimmer-Wohnung und im Dachgeschoss eine 1.5-Zimmer-Wohnung. Über die Geschosse verteilt bestehen drei zusätzliche Zimmer, zwei davon mit Bad. Diese Zimmer können als Gästezimmer, Waschzimmer oder als zuschaltbare Räume dienen, sodass sich die vier Wohnungen in ihrer Grösse erweitern lassen; der Wohnungsspiegel ist entsprechend flexibel einstellbar. Die gewünschte 4.5-Zimmer-Wohnung ergibt sich über das Zuschalten eines der beiden zusätzlichen Zimmer mit Bad zu einer 3.5-Zimmer-Einheit. Dieses Zimmer kann beispielsweise ideal von einem Teenager, einer Pflegeperson, den Grosseltern oder als Büro genutzt werden.
Die Wohnungen werden über die Nordseite und eine aussenliegende Treppe separat und unabhängig von den gemeinschaftlichen Bereichen erschlossen. Die aussenliegende Erschliessung entspricht einem ungezwungenen, informellen, «ländlichen» Wohnen, wie es Hans Fischli in der Schlehstud in Meilen realisiert hat. Über den Haupteingang gelangen die Bewohner zudem zu einem innenliegenden Lift, der sie stufenfrei zu ihrer Wohnung führt. Aufgrund der Liftposition im Zentrum des Hauses sind auch sämtliche zusätzlichen Zimmer und alle weiteren Räume hindernisfrei und altersgerecht erschlossen.
Die Räume der vier Wohnungen sind alle von identischer Grösse und bilden eine Enfilade, die zirkulär entlang der Fassaden erschlossen wird. Über einen innenliegenden Raumkern mit Bad/Dusche, Schrankraum und WC bestehen Shortcuts zu einzelnen Zimmern. Aufgrund der identischen Raumgrössen definiert der Grundriss nicht ein starres Nutzungsbild, sondern formt vielmehr eine offene, polyvalent nutzbare Raumstruktur: Die Räume können sowohl dem Schlafen, Wohnen oder Arbeiten dienen.
Der Gemeinschaftsbereich umfasst neben dem überhohen Wohnraum mit Kamin einen eigenen Eingang, eine Toilette sowie auf dem Gartenniveau eine «Gartenküche». Aus diesem Gemeinschaftsbereich kann bei Bedarf eine eigene, fünfte Wohnung werden. In diesem Fall bestünde der Wohnungsspiegel aus drei 3.5-Zimmer-Wohnungen sowie einer 2.5- und einer 1.5-Zimmer-Wohnung.
Aussenräume und Garten
Die Aussenräume werden primär gemeinschaftlich genutzt. Das Projekt bietet unterschiedlich nutzbare Gartenräume sowie zwei Dachterrassen an. Die westliche Dachterrasse bezieht ihre Qualitäten aus der Präsenz des Waldes. Die südöstliche Terrasse bietet für alle Bewohner Seesicht und dient mit dem angrenzenden Waschraum auch der gemeinsamen Hauswirtschaft.
Der Charakter der Gartenräume sucht die Nähe zu den Ideen der «Naturgärten», wie sie beispielsweise von Eduard Neuenschwander in Gockhausen oder am Irchel realisiert wurden. Es wird ein Idyll angestrebt, dass nicht einer zähmenden Perfektion von Natur verpflichtet ist, sondern im Sinne von Lancelot Brown dem «carefully careless» Raum gibt.
Dem individuellen «Aufenthalt im Freien» dienen die grossen Eckfenster in sämtlichen Wohnräumen, die – über die Gebäudeecken geöffnet – die Räume in den Sommermonaten zu Loggien werden lassen. Sind einmal alle Fenster geöffnet, wird die Wohnung zu einer grossen Terrasse in und über den Baumkronen. Diese Idee folgt dem Idealbild des Curtain Wall House von Shigeru Ban.
Konstruktion und Ausdruck
Das Projekt entspricht dem Wunsch einer einfachen, direkten und wirtschaftlichen Konstruktions- und Materialwahl. Vorgeschlagen wird ein hybrides Tragwerk bestehend aus Ortbetondecken, die auf vorfabrizierten Brettsperrholzscheiben lagern. Die Deckenränder verfügen umlaufend über Aufbordungen, welche die offenen Ecken tragen und im Bereich der Fenster niedere Brüstungen auf Sitzhöhe ausbilden. Aufgrund der identischen Raumstruktur auf allen Geschossen erfolgt die Lastabtragung durchgehend vertikal. Die Unterkellerung beschränkt sich auf die Hangseite. Die Haustechnik wird lediglich über zwei, ebenfalls vertikal durchgehende Schächte erschlossen.
In der vorgeschlagenen Konstruktionsweise ist eine «brutalistische», materialbetonte Anmutung im Innenraum denkbar, bei der sowohl der Beton als auch das Holz naturbelassen wird und einzig der Bodenbelag als Ausbauelement hinzukommt.
Die Konstruktion wird aussen gedämmt und hinterlüftet verkleidet. Je nach angestrebtem Charakter ist eine Verkleidung mit feinem Welleternit («Gartenhaus») oder einem Spenglerblech (Schiffsmetapher) denkbar. Die äussere Materialisierung soll einer «anderen» Zürichsee-Architektur Ausdruck geben, die sich vom gegenwärtigen Mainstream-Chic wohltuend entspannt absetzt. Auch hierzu kann an die Architektur von Hans Fischli in Meilen erinnert werden.
Mitarbeiter Wettbewerb
Ron Edelaar, Elli Mosayebi, Christian Inderbitzin, Jonathan Roider, Christian Franke, Valentin Surber, Patrick Zeller
Mitarbeit Planung und Ausführung
Ron Edelaar, Elli Mosayebi, Christian Inderbitzin, Jonathan Roider, Projekt- und Bauleitung: Roman Kallweit
Zusammenarbeit
Jonathan Roider, Architekt
Bauherrschaft
privat