Vom Rohstoff zum Bauwerk
Ferienheim Büttenhardt (Foto: Roland Bernath, Zürich)

Ferienheim Büttenhardt (Foto: Roland Bernath, Zürich)

PUBLIKATION WERK, BAUEN + WOHNEN, 12/ 2010
VOM ROHSTOFF ZUM BAUWERK
FERIENHEIM IN BÜTTENHARDT VON BERNATH + WIDMER

Der Ersatzneubau für das Ferienheim Büttenhardt ist einer einmaligen Fügung verschiedener, aber relevanter Umstände zu verdanken. Sie betreffen sowohl das Programm und den Ort, als auch das Zusammenfinden und die Innovationskraft von Bauherr, Ingenieur, Unternehmer und Architekt, die während der Projektentwicklung jeweils die richtigen Prämissen zu setzen wussten. Entstanden ist ein Bauwerk, das in der gegenwärtigen Architekturproduktion durch eine hohe Konsistenz hinsichtlich seiner städtebaulichen, architektonischen und konstruktiven Durchbildung auffällt.

Zufluchtsort für Jugendliche
Das Ferienheim Büttenhardt bietet Wohnraum für Jugendliche, die ein «Timeout» benötigen. Damit ist die Erfahrung eines anderen Alltags ausserhalb des gewohnten Umfeldes gemeint. Seit den 1920iger Jahren verbringen hier Kinder und Jugendliche ihre Ferien – oder eben auch längere Aufenthalte. Das Ferienheim ist Teil eines Landwirtschaftsbetriebes, der bereits durch seine Lage einen «anderen Alltag» erzeugt: er befindet sich nämlich in relativer Abgeschiedenheit in einer grossen Waldlichtung nördlich von Schaffhausen. Unmittelbar am Waldrand verläuft die Grenze zu Deutschland.
Der vormalige Bau des Ferienhauses befand sich in schlechtem Zustand. Der Bauherr, der gleichzeitig als Betreiber, Land- und Forstwirt am Ort tätig ist, beauftragte auf Vermittlung des Maschinenbauers Heinrich Bührer die Architekten Bernath + Widmer deshalb mit dem Entwurf für einen Ersatzneubau an gleicher Stelle. Im Neubau sollten sechs Zimmer sowie ein kleines Restaurant im Erdgeschoss Platz finden. Im Restaurant können am Wochenende Besucher und Wanderer etwas essen und trinken; hier trifft gewissermassen die geschützte, innere Welt des Heimes zwischenzeitlich auf die ansonsten ferne Aussenwelt.

Bauen mit kernfreiem Laubholz
Roland Bernath und Benjamin Widmer haben den Entwurfprozess von Beginn an dialogisch strukturiert. Das heisst, sie haben einerseits die Bauherrschaft mit ihrer städtebaulichen Lektüre und möglichen architektonischen Themen konfrontiert, anderseits bewiesen sie echte Neugier, die gestellte Aufgabe im Gespräch mit Bauherr und Ingenieur sowie ausgehend von den spezifischen Bedingungen und Potentialen des Ortes zu lösen. Dabei bildet der die Lichtung des Bauplatzes umgebende Mischwald zentraler Ausgangspunkt: zusammen mit Bauherr und Holzbauingenieur formulierten die Architekten die Absicht, ein Haus in Massivholzbauweise zu konstruieren, wobei das Holz direkt und in Eigenleistung aus dem Wald gewonnen werden sollte.
Die Massivholzbauweise macht hinsichtlich der programmatischen Bedeutung des Gebäudes Sinn; es ist eben mehr als ein weiterer landwirtschaftlicher Zweckbau, der mit einer einfachen Holzschalung und Hinterlüftung auskommen kann. Die Sichtung des Mischwaldes hat im weiteren gezeigt, dass die zur Verfügung stehenden Hölzer respektive Holzmengen nach einer Art Hybrid, das heisst einer Kombination verschiedener Holzarten, verlangten. Diese Überlegungen führten zur Konzeption einer Bohlenständerbauweise, wie sie vom 17. bis 19. Jahrhundert in verschiedenen Teilen der Schweiz zur Anwendung kam. In dieser Bauweise konnten das primäre, tragende Skelett des Neubaus in beständiger Eiche und die aussteifenden «Füllungen» in Föhre ausgeführt werden; beides Hölzer, die gerade ausreichend im Wald geschlagen werden konnten, wie eine umfangreiche Katalogisierung vor Ort ergab. Das entsprechende Holz wurde rund ein Jahr vor Baubeginn geschlagen und dann vor Ort gelagert.
Eine bedeutsame Herausforderung bot der Umstand, dass in Schweizer Wäldern mehrheitlich kein Laubholz wächst, das ohne weiteres zu Bauholz verarbeitet werden kann. Die Baumgrössen reichen normalerweise nicht aus, um aus einem Stamm Balken mit ausreichendem Querschnitt zu sägen. Hier kamen der Ingenieur Hermann Blumer sowie der Maschinenbauer und eigentliche Initiator des Projektes Heinrich Bührer ins Gespräch. Bührer hatte bereits vorgängig eine Bohrmaschine entwickelt, mit der die Kerne der Stämme ausgebohrt werden können, um übermässige Rissbildungen und Verwindungen zu unterbinden. Zudem trocknet das «kernfreie» Holz ohne mechanische Massnahmen rascher. Die von Bührer konstruierte Bohrmaschine lässt sich mit einem 2.60 Meter langen Bohrer bestücken. Aus diesem Mass resultiert eine maximale Balkenlänge von 5.20 Meter; auch das war nebst der zur Verfügung stehenden Hölzer entscheidende Prämisse für den Entwurf der Tragstruktur bis hin zu den Grundrissdimensionen. Das Bauholz wurde so nicht nur vor Ort gewonnen, sondern auch geschnitten, gebohrt und getrocknet.

Nordischer Klassizismus
Aus diesen Vorgaben, denen wie gesehen umfangreiche technische und konzeptionelle Überlegungen vorausgingen, entwickelten die Architekten eine reguläre, weitgehend sogar symmetrisch aufgebaute Gebäude- und Raumstruktur. Städtebaulich bildet das einfache Gebäudevolumen eine Art Kopfbau des längsgerichteten Bauernhof und erscheint in der landschaftlichen Weite der Lichtung als zwar ruhender, gleichzeitig aber sehr präsenter, selbstbewusster Körper; die Architektur steht hier für ein antagonistisches Verhältnis von Natur und Kultur. In dieser Hinsicht ist auch die klassische Formensprache des Neubaus zu verstehen.
Durch den tektonischen Aufbau der tragenden Fassaden bis hin zum baulichen Witterungsschutz über die Ausbildung von Vordächern und Gesimsen sowie die symmetrische Organisation der Obergeschossgrundrisse um eine zentrale Aufenthalts- und Verteilhalle ist die architektonische Sprache allerdings mehr als blosses «Bildmaterial»: sie ist vielmehr alles durchdringendes Strukturprinzip. Pilaster und Gebälk, das Gerippe des Bohlenständerbaus (lineamento), definieren das primäre Tragwerk wie auch die primäre Raumstruktur. Die Dimensionierung dieser Teile ist aus der zur Verfügung stehenden Eichenholzmenge und den technischen Bedingungen der Kernbohrungen abgeleitet. Für die nichttragenden, aber aussteifenden und ebenfalls massiven Wandfüllungen (ripieni) wurde im Wald gewonnenes Föhrenholz verwendet. Die Sechzig-Grad-Diagonalstellung zeigt den strukturellen Unterschied zur Eiche an, bricht gleichzeitig die angelegte Strenge und stellt eine formale Verwandtschaft zum Gitterwerk der Laube im Erdgeschoss her. Schliesslich sind auch die dem klassischen Vokabular entsprechend stehenden Fenster struktureller Art, indem sie von Boden bis Decke spannen.
Wie angedeutet steht im weiteren die innere Organisation in Grundriss und Schnitt in konzisem Verhältnis zu Struktur und Äusseren. Die Layouts der Obergeschosse sind symmetrisch aufgebaut: an der Frontfassade und damit in Bezug zur Landschaft befindet sich eine zweigeschossige Halle mit rückseitiger Treppe und Gallerie zur Erschliessung des zweiten Obergeschosses. Von der Halle erschlossen finden sich auf beiden Geschossen jeweils beidseitig zwei Zimmer. Diese Disposition erinnert unmittelbar an palladianische Raummotive. Das Erdgeschoss ist weniger streng, das heisst als stützenfreier Grossraum mit sekundären Gliederungselementen organisiert. Die räumlich offene Disposition entspricht der teilweise öffentlichen Restaurantnutzung. Zu den Raum gliedernden Elementen gehören Einbauten für den Betrieb sowie eine Fensterwand, die eine L-förmige Laube vom Innenraum trennt. Möglich wird der stützenfreie Raum durch die Ausbildung der zwei Querwände in den Obergeschossen als tragende Scheiben. Zur statischen Optimierung dieser Elemente konnten die Kernbohrungen in den Eichenbohlen für die Einführung von Zugstangen genutzt werden. Im Innenausbau kam ausschliesslich Buche zur Anwendung, die ebenfalls am Ort gewonnen wurde.
Das asymmetrische Layout des Erdgeschossgrundrisses erklärt sich durch seine unmittelbare Umgebung respektive den seitlichen Hauszugang vom Zufahrtsweg des Hofes. Während sich das Erdgeschoss also auf die angrenzenden Aussenräume bezieht, in der Laube gefasste Ausblicke und schöne Licht-Schatten-Situation bietet und damit eine Art «Nahwirkung» erzeugt, bauen die Obergeschosse in ihrer frontalen Ausrichtung eine erhabene Fernwirkung auf. In der winterlichen Landschaft erinnert das Gebäude so stark an klassizistische Bauten im Norden. Ähnlich wie diese gewinnt auch das Ferienheim Büttenhardt die Sympathie durch eine positiv verstandene Sprödheit sowie eine gleichzeitige Leichtigkeit, die von einem naiv-sicheren, intuitiven Verständnis der klassischen Formensprache herrührt. Im Unterschied zu nordischen Vorbildern, wo solche Holzkonstruktionen zur Veredelung zumeist gestrichen sind, wird in Büttenhardt das Holz unbehandelt gezeigt. Das kann als weitere, beinahe subversive Brechung klassischer Ordnung verstanden werden; jedenfalls wird so das an sich minderwertige Bauholz maximal veredelt.

Projekt mit Modellcharakter
Bernath + Widmer Architekten verstehen ihren ersten grösseren Bau als Projekt mit Modellcharakter. Tatsächlich bleibt zu hoffen, dass es auch andernorts gelingt, die gegenwärtige Komplexität des Bauprozesses auf ähnlich radikale Weise zu reduzieren. Die Baumaterialgewinnung vor Ort, die Umsetzung mit lokaler Technik und Unternehmern sowie die Verwendung einfacher, das heisst nicht industriell hergestellter Materialien erinnert dabei an die Organisationsstruktur einer Bauhütte. Dass eine solche Bauweise ökologisch sinnvoll und wohl auch Nachhaltig sein kann, ist selbstredend. Und die Möglichkeit, aus lokalem, minderwertigem Laubholz vollwertiges Bauholz zu gewinnen, dürfte hoffentlich auch andere Architekten interessieren.

Bauherr: Beat Mader, Büttenhardt

Architekten: bernath+widmer, Roland Bernath, Benjamin Widmer, Flurina Cahannes, Barbara Müller

Holzbaustatik: Hermann Blumer, Création Holz, Herisau und SJB.Kempter.Fitze AG, Frauenfeld

Holzbau Ausführung: Brädäx Blockbauzimmerei, Appenzell und Bergauer Holzbau, Büttenhardt

Initiant/Entwicklung Bohrmaschine: Heiri Bührer, Maschinenbau, Bibern