Bomarzo

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Kartenausschnitt

BOMARZO – BEOBACHTUNGEN ANHAND EINER
NEUEN KARTE, ETH ILA 2005 (VERGRIFFEN)

Bomarzo – Vollendung als Ruine

Würdige Prachtgebäude stürzen,/ Mauer fällt, Gewölbe bleiben, /Dass nach tausendjähr’gem Treiben/ Tor und Pfeiler sich verkürzen/ Dann beginnt das Leben wieder,/ Boden mischt sich neuen Saaten,/ Rank’ auf Ranke senkt sich nieder;/ Der Natur ist’s wohl geraten.
Johann Wolfgang von Goethe

In Goethes Gedicht halten sich Verfall und Neubeginn die Waage. Menschliches Konstrukt und Vegetation, Kunst und Natur verschmelzen zu einer neuen Ganzheit, bei der sich nicht mehr genau sagen lässt, wo künstlich Geschaffenes aufhört und natürlich Gewachsenes anfängt. Die Szenerie wird gleichsam durch das Zusammengehen vollendet. Ähnliches kann man im sacro bosco von Bomarzo (1540-1583) beobachten: Die Spuren der Zeit – Verfall und Wachstum – , die zur heutigen ruinenartigen Erscheinung führten, haben diesen nicht zerstört, sondern erst vollendet. Dies zeichnet die Besonderheit der Gartenanlage von Bomarzo aus.

Voraussetzung für diese Lektüre war eine Sichtweise, welche den traditionellen Antagonismus von Natur und Kultur zu überwinden versucht und nach einer transdisziplinären Beschreibung sucht. Die Gartengeschichte misst sich in erster Linie nach historischen und ästhetischen Begriffskategorien wie Idealplänen, Stilkonzepten und an gesellschaftlichen Hintergründen, blendet aber Landschaftselemente und Naturprozesse aus. Umgekehrt vernachlässigen die Naturwissenschaften die kulturelle Kodierung ihrer Gegenstände sowie eine historische und gesellschaftliche Dynamik. Eine kartografische Sicht und die Vermessungs- und Kartierungsarbeit vor Ort erlaubten, die Landschaft sowohl physisch wie auch atmosphärisch in ihrer Ganzheit und heutigen Erscheinung zu erfassen.

Anstelle einer Imitation und Idealisierung von Natur, wie sie der zeitgenössische Kanon der Gartenbaukunst vorsah, wurde in Bomarzo ein vorgefundenes Wäldchen mit rauen, eingewachsenen Felsblöcken in ein „Naturkunstwerk“ gewandelt. Die irreal grossen Skulpturen sind in unterschiedlichem Grade aus den vor Ort vorhandenen Felsblöcken herausgearbeitet. Jede Naturform besitzt das Potential einer Kunstform und umgekehrt. Das zentrale, inschriftlich festgehaltene Rätsel für den Besucher besteht darin, zu entscheiden, ob hier die Natur Kunst vortäusche (inganno) oder ob die Kunst Natur imitiere (arte). Eine Lösung scheint aber nicht möglich: Das Fragmentarische in der räumlichen Struktur des Gartens bis in die Ausgestaltung der Architekturen und Skulpturen besitzt so viel Eigenschaften der Ruine, dass bereits die ursprüngliche Anlage deren untrennbare Einheit von Natur und Kunst vorwegnahm und als Ruinenlandschaft verstanden werden kann.

Im Verlauf der Jahrhunderte entwickelten sich die errichteten Strukturen mit der Verwilderung zu voller Geltung. Der Erbauer Orsini schuf damit von der Vergänglichkeit ein unvergängliches Bild und hat seinen Garten vor dem Vergessen bewahrt. Im Zustand der Ruine überlebt der Garten, bedeckt von einer Schicht grünem, lebendigem Staub.

Dieser Text erschien in /Anthos 1, 2005, S. 50-53 ///