Bild: Installation von Gramazio & Kohler im Schweizer Pavillion (Foto: Maris Mezulis)
PUBLIKATION ZÜRICHSEE-ZEITUNG, 25. SEPTEMBER 2008
ARCHITEKTUR ALS FORSCHUNGSARBEIT
DIE 11. ARCHITEKTURBIENNALE IN VENEDIG
Die diesjährige Architekturbiennale sucht nach einer Architektur jenseits des Bauens. Dabei entdeckt der Besucher immer wieder überraschende und poetische Arbeiten von Architekten und Künstlern. Der Schweizer Beitrag zeigt Architektur im Spannungsfeld von Forschung und Lehre. Die Ausstellung dauert noch bis zum 23. November 2008.
Während Richard Burdett, der Kurator der letzten Architekturbiennale von 2006, sich dem Thema der grossen Weltmetropolen zuwandte und in einer panoptischen Schau von Statistiken und Fotografien mitunter die grossen Fragen zur Zukunft dieser Städte aufwarf, fokussiert die diesjährige, von Aaron Betsky kuratierte Hauptschau auf eine Architektur jenseits praktischer und politischer Fragen. Unter dem Titel «Out there: Architektur beyond building» fordert Betsky eine Architekturauffassung, welche das Architektonische jenseits des reinen Bauens sucht. Gemäss seinem Ausstellungstext würden Bauten, oftmals gar nicht von Architekten entworfen, zunehmend durch Normen, Standards und wirtschaftliche Kriterien bestimmt. Deshalb seien viele Gebäude nicht nur uninteressant, sondern geradezu hässlich, nutzlos und verschwenderisch. Trotzdem bräuchten wir aber die Architektur als kulturelle Ausdrucksform, weshalb Betsky die Baukunst zur Raumkunst erweitert sehen will.
Zwischen Skuptur und Design
Was damit gemeint sein könnte, versucht Betksy in einer sinnlichen, auf die Corderie dell’Arsenale und der Padiglione d’Italia verteilten Ausstellung zu umreissen. Gleich im ersten Abschnitt der 300 Meter langen Halle der Corderie öffnet er das Feld mit einer Installation bestehend aus grossformatigen Projektionen und Videomonitoren. Die Projektionen zeigen eine phantastische Raumvision vor einem kosmischen Hintergrund, während auf den Monitoren Ausschnitte bekannter Filme laufen, in denen Räume erfunden wurden, die über das Bekannte oder gar Baubare hinausgehen. Darauf folgen unterschiedliche Beiträge namhafter, aber auch junger Architekten und Künstler, die sich zwischen Skulptur, Bild und Design bewegen. Die Qualität dieser Arbeiten variiert stark. Während einige platte Abbilder bekannter Ideen darstellen, entwerfen gerade die einfachen Ansätze, die ohne Erläuterungen auskommen, poetische Raumvorstellungen. Zu erwähnen ist die Installation vom Künstler Matthew Ritchie, welche ausgehend vom einfachen Grundelement des Tetraeders eine fraktale, ornamentale und sinnliche Architektur konstruiert oder eine Videoarbeit von Diller & Scofidio, die drei Gondelfahrten in Venedig, Las Vegas und Macau zeigt und so eindrücklich nachweist, dass sich die Architektur als kulturelles Gut längst vom physisch erfahrbaren Original in mentale Vorstellungskategorien verschoben hat. Als einziger Schweizer in diesem Teil der Ausstellung ist Philippe Rahm vertreten, der in einer minimalistischen Arbeit das Nicht-Visuelle in der Architektur thematisiert. Er entwarf dazu eine Installation, die mit Licht und Temperatur an zwei plattenförmigen Körpern eine «Climate architecture» erzeugt.
Im Padiglione d’Italia wurden die Kabinette wiederum einzelnen Autoren zugeteilt. Einen Besuch lohnenswert machen die Säle der sogenannten «Masters of Experiment», wo frühe Arbeiten von Frank Gehry, Zaha Hadid oder Madelon Vriesendorp, die das legendäre Buch «Delirious New York» von Rem Koolhaas illustriert hat, gezeigt werden. Die Schweizer Stars Herzog & de Meuron bespielen zusammen mit dem Chinesen Ai Weiwei einen zentralen Saal mit einer den Raum auslotenden, sperrigen Installation aus Bambusstäben.
Der Schweizer Beitrag
Der offizielle Beitrag der Schweiz in ihrem Pavillon in den Gardini knüpft in seiner Konzeption an das Motto der Architekturbiennale an. Unter dem Titel «Explorations: Teaching, Design, Research» präsentiert der Kurator Reto Geiser (siehe auch Rubrik «Nachgefragt») die Arbeit von vier Professuren der ETH Zürich und der EPFL Lausanne, welche sich in Unterricht und Forschung an den Grenzen der architektonischen Disziplin bewegen und so nach neuen Handlungs- und Ausdruckräumen für die Architektur suchen. Anhand der vier Begriffe Methodik, Netzwerke, Didaktik und Technologie gibt Geiser Einblick in das spezifisch architektonische Forschen. Dabei wird deutlich, dass Forschung in der Architektur – anders als etwa in Naturwissenschaften – einen ausgeprägt synthetischen und integrativen Charakter besitzt, das heisst die Totalität architektonischen Entwerfens niemals umgangen werden kann. Vielmehr durchdringen sich Technologie, Entwurf und Lehre in immer wieder neuen, empirisch zu findenden Formen. Es überrascht deshalb nicht, dass an den beiden Schweizer Hochschulen viele Forschungsinhalte in Verbindung mit dem Unterricht erarbeitet werden, so auch die gezeigten, städtebaulichen Forschungsprojekte von Professor Marc Angélil im Rahmen seiner Master of advanced Studies, die experimentellen, in Eigenbau und Wirklichkeit überprüften Entwürfe am Lehrstuhl von Dieter Dietz oder die auf einer umfassenden, städtebaulichen Analyse fussenden Projekte des Instituts von Professor Harry Gugger.
Die Ausstellungsarchitektur
Für die Ausstellungsarchitektur «Structural Oscillations» im Schweizer Pavillon zeichnet der vierte Lehrstuhl von Fabio Gramazio und Matthias Kohler verantwortlich. Gramazio & Kohler beschäftigen sich an der ETH Zürich mit der Digitalen Fabrikation von Architektur. Dabei untersuchen sie unter anderem die Möglichkeiten der Fertigung von Bauelementen durch Roboter zur Erkundung eines architektonischen Ausdruckpotentials, das mit herkömmlichen, manuellen Herstellungstechniken aufgrund der hohen formalen Komplexität solcher Elemente nicht mehr wirtschaftlich zu erreichen ist. In Venedig haben sie Bruno Giacomettis Pavillonarchitektur mit ondulierenden Backsteinwänden überformt, die ein mobiler Roboter vor Ort aufgeschichtet hat. Mit ihrer poetischen Arbeit haben die beiden Architekten bewiesen, dass es möglich ist, das architektonische Experiment in die gebaute Wirklichkeit zurückzuführen.
Was ist Architekturforschung? Kurzinterview mit Reto Geiser, dem Kurator des Schweizer Pavillion
Reto Geiser, Sie haben den Schweizer Beitrag zur diesjährigen Architekturbiennale kuratiert. Was war Ihre Motivation, die Architekturforschung zum Thema zu machen?
Die Architektur ist ein fester Bestandteil der Gesellschaft und wird deshalb immer wieder durch soziopolitische, ökonomische oder auch technologische Veränderungen beeinflusst. Das Berufsbild des Architekten erfährt dabei regelmässig Umdeutungen, was unter anderem die Forschung zu einem neuen Arbeitsfeld der Architekten gemacht hat. Zudem ist die Entwurfsforschung durch die Bologna-Reform, die erst kürzlich an unseren Schulen umgesetzt wurde, zu einem wichtigen Thema geworden, weil mit der Reform sämtliche Disziplinen dazu verpflichtet wurden, auch aktiv zu forschen. Es stellt sich deshalb zwangsläufig die Frage, wie sich Forschung in der Architektur zwischen Gestaltung und Technik definieren lässt. Der Schweizer Pavillon thematisiert solche Fragen, indem er den Blick auf räumliche, planerische sowie produktionstechnische Entwicklungen lenkt.
Wie würden Sie die Eigenschaften architektonischen Forschens charakterisieren?
Die Ausstellung soll zunächst einmal zeigen, wie wenig produktiv sich die gängige Unterscheidung in Grundlagenforschung und angewandte Forschung im Zusammenhang mit dem architektonischen Entwurf erweist. Denn Architekturforschung bezieht ihr Potential nicht isolierten Problemstellungen, sondern aus der Verbindung von verschiedenen Wissensfeldern. So verbinden sich Technisches und Geisteswissenschaftliches immer wieder neu in praxisbezogenen Herangehensweisen. Das verbindende Element ist dabei der architektonische Entwurf. Dieser wird so zu einem eigentlichen Forschungsutensil.
Wo sehen Sie die wichtigsten Forschungsbeiträge von ETH Zürich und EPFL Lausanne im internationalen Kontext?
Noch vor kurzem war die Schweizer Architektur vor allem von praktischen Aspekten des Bauens geprägt. Mehr und mehr spielen aber auch theoretische oder gar spekulative Vorstösse eine Rolle, auch wenn materielle Aspekte und die Präzision des Bauens in vielen Forschungs- und Lehrprojekten immer noch stark verwurzelt sind. So stehen sowohl urbane Recherchen als auch material- und produktionstechnische Studien oft in einem direkten Verhältnis zur gebauten Wirklichkeit. Im Unterschied zu vielen Schulen im Ausland steht deshalb in der Schweiz die Ausbildung zum bauenden Architekten nach wie vor im Vordergrund. Es ist interessant zu sehen, dass an beiden Schulen in der Forschung eine enge Zusammenarbeit mit der Industrie, Planungsbehörden, mit internationalen Organisationen und auch mit anderen Architekturschulen gesucht wird.
Worin könnte die Bedeutung architektonischen Forschens für die Disziplin in Zukunft bestehen?
Das Interesse am Bauen ist noch immer stark ist. Trotzdem löst sich heute der Blick der Architekten vermehrt vom gebauten Objekt und lenkt die Aufmerksamkeit auf unterschiedliche Prozesse und Dynamiken. Die Erforschung solcher Phänomene ist oftmals experimentell, schliesst unterschiedlichste Wissensbestände mitein, überschreitet die Grenzen zwischen den Disziplinen oder erkundet sogar ganz neue Terrains. Wie die Beispiele in der Ausstellung zeigen, tritt die individuelle Autorenschaft häufig hinter ein Kollektiv zurück. Die klassische Entwurfsklasse hat sich in allen Fällen ein Versuchslabor, eine Diskussionsplattform oder einen Ideengenerator verwandelt. Ich denke, es ist genau diese kritische Auseinandersetzung, der Diskurs in einer solchen Gruppe, der schlussendlich für die weitere Entwicklung der Disziplin von Bedeutung ist.
Reto Geiser, Jahrgang 1976, beschäftigt sich schwerpunktmässig mit moderner Architektur und dem zeitgenössischen Diskurs über Architektur und Städtebau. Geiser ist Mitbegründer des Büros Research and Development und schuf das Diskussionsforum STANDPUNKTE für den kritischen Austausch zwischen jungen Vertretern aus Architektur, Theorie und Kunst.
Zur Ausstellung im Schweizer Pavillon ist ein Buch erschienen: Reto Geiser (Hg.), Explorations in Architecture: Teaching, Design, Research, Birkhäuser 2008: Basel/Boston/Berlin, ISBN 978-3-7643-8921, SFr 49.90
(ungekürzte Manuscript-Fassung)