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Wohn- und Gewerbeüberbauung Zollhaus
Zürich
Offener Projektwettbewerb, 2015, 9. Preis
Grundriss Regelgeschoss

Das Gesicht des Quartieres und das Gleismeer
Der Kreis 5 wird wesentlich geprägt durch eine Blockrandbebauungsstruktur aus dem 19. Jahrhundert. Entlang des Gleisfelds wird der homogene Stadtkörper allerdings beschnitten oder aufgebrochen. Durch die bereits jurierten Projekte auf den schmalen Grundstücken in Richtung Hauptbahnhof wird das Gesicht des Kreis 5, im Gegensatz zur gegenüberliegenden Europaallee, auch zukünftig von ganz unterschiedlichen Identitäten und Nutzungen geprägt bleiben. Charakteristisch ist eine Aufreihung von architektonisch hochwertigen Bauten, die ihre Identität aus den ganz unterschiedlichen Nutzungen ableiten. In diesem Sinn soll „Teatro del Mondo“ zeigen, dass nach einem exklusiven Bürohaus und gehobenem Mietwohnungsbau auch genossenschaftliches Wohnen zur Identität von Zürich gehört. Da die Gleise links und rechts der Langstrasse auch in Zukunft stellenweise auf den heute bestehenden Fluchten bleiben, werden die neuen Bauten an der Zollstrasse dem Stadtkörper vorgelagerte Volumen bilden. Die vorgeschlagene Architektur verdeutlicht diese autonome Stellung zwischen Stadt und Gleisen.

Im Teatro del Mondo
Das sich zur Langstrasse öffnende Theater liegt im Bauch der Gleisterrasse gleichsam als Fundament des Hauses. In seiner architektonischen Ausformulierung sucht es lustvolle Bezüge zu bekannten Vorbildern. Angrenzend und dem Theater angegliedert befindet sich das Restaurant.

Gewerberäume an der Zollstrasse
Der Gebäudesockel öffnet sich zur Zollstrasse mit einem durchgehenden Glasband. Die Dienstleistungs- und Gewerberäume erhalten eine maximale Präsenz und prägen die Stimmung auf dem Strassenniveau.

Der Dachgarten
Über den tragenden Stützen werden Hügel aus Pflanzsubstrat aufgeschüttet. Eine intensiv begrünte Landschaft mit Sitzplätzen und Bereichen für Nutzgärten geben dem Haus auch von oben sein ganz eigenes Gepräge. Über die Wendeltreppe und den Lift ist der Dachgarten für die Bewohner jederzeit zugänglich.

Hallenwohnen
Die gewünschten grossen Hallenwohnungen sind ähnlich wie die Regeltypen geschnitten. Um den späteren Ausbau nicht einzuschränken, sondern im Gegenteil zu animieren, wird ein Teil der Wohnung mit einer Raumhöhe von 4.50 Metern vorgeschlagen. Dem Einziehen von Zwischenböden und Aneignen durch die Bewohner steht nichts im Weg.

Die Wohnung
Sämtliche Wohnungen werden als Überlagerung eines Hallentypus mit dem eines „Durchwohnens“ vorgeschlagen. Charakteristisch sind drei Raumzonen: die Räume zum Laubensteg als Eingangsbereich mit Küche und Zimmer, die Wohnhalle mit Nebenräumen in der Wohnungsmitte, und die Wohnraumerweiterung mit weiteren Privatzimmern gegen Norden. Alle Wohnungen sind so geschnitten, dass die Wohnraumerweiterung als zusätzliches Zimmer abgetrennt werden kann und die Halle die gesamte Wohnraumnutzung übernimmt. Durch diese potentiell höhere Belegung kann der Wohnflächenverbrauch pro Person auf 28.7 Quadratmeter gesenkt werden.

Laubenstege zum Gleisfeld
Kernstück des Entwurfs und identitätsstiftende Adresse zugleich sind die Laubenstege. Sie verbinden die Gleisterrasse mit dem öffentlich genutzten Dachgarten und dienen zugleich als Zugang von sämtlichen Wohnungen und Gewerberäumen. Die gemeinschaftliche Identität des „Teatro del Mondo“ wird durch den Laubensteg im Stadtraum ikonografisch präsent. Neben den öffentlicheren Nutzungen im Aussenraum werden auf der Gleisterrasse und auf den Laubenstegen informell und individuell nutzbare Aussenräume für die Wohnungen angeboten. Zugleich dienen die Lauben auch als Lärmschutz für die dahinter liegenden Wohnungen. Die Laubenstege sind nach den geltenden Brandschutznormen als Flucht- und Rettungswege geplant und jederzeit frei und sicher benutzbar. Zwischen den Stützen und der Brüstung der Laubenstege gibt es jeweils leicht erhöhte Bereiche mit einem Tisch und Stühlen, welche gegebenenfalls am Boden befestigt sind. Da die Laubenstege an beiden Enden zu vertikalen Fluchtwegen führen, gelten keine Anforderungen an den Feuerwiderstand der Konstruktion und es dürfen brennbare Materialien verwendet werden.

Die Gleisterasse
Das identitätsstiftende Zentrum und die Bühne des „Teatro del Mondo“ wird die Gleisterrasse sein. Hier holt man die Post, bringt die Kinder in den Hort oder trifft sich im Gleiscafé. Die dem Haus vorgelagerten Laubenstege verleihen dem schmalen Terrassenraum eine menschliche Massstäblichkeit und räumliche Intimität. Mit der neuen VKF müssen der Kindergarten, die Büros, und auch das Restaurant nicht mehr mindestens zwei separate Fluchtwege aufweisen. Durch einen Fluchtkorridor im Gebäudeinnern kann die Gleisterrasse, abgesehen von den Bereichen um die Treppenabgänge, völlig von den Fluchtweganforderungen befreit werden.

Kindergarten und Kita
Als Reminiszenz an die bestehenden Schuppen zum Gleisfeld oder gleichsam als Schleppschiff besetzt der Pavillon mit der KITA die schmalste Stelle des Grundstücks. Mit einem Zugang über den Vorgarten an der Zollstrasse und einem mit dem Kindergarten gemeinsamen Aussenraum auf der Gleisterrasse ist er bestens erschlossen.

Architektonischer Ausdruck
Der städtebaulichen Konzeption folgend sucht das Haus einen Ausdruck, der sich ebenso dem Gleisfeld wie der Stadt zugehörig zeigt. Wie ein grosses Schiff, eine am Gleisquai vertäute Arche Noah soll das Haus ein autonomer Treffpunkt im Stadtgefüge werden, eine poetische Wohnmaschine für urbanes Leben. In Bezug auf das Gleisfeld sind die horizontale Bewegung und ein spezifischer aus der Funktion der Laubenstege abgeleiteter Ausdruck prägend. Die Deckenstirnen werden als umlaufende vorfabrizierte Betonbänder vorgeschlagen, um das Haus als Ganzes zusammen zu halten. Die geschlossenen Wandscheiben treten als Füllung zwischen den Decken leicht nach aussen und sind mit hinterlüfteten Aluminiumblechen verkleidet. Senfgelbe Holz-Metallfenster als vertikale Bänder komplettieren das Fassadenrelief.

Statische Struktur
Um die Baukosten tief zu halten und eine maximale Flexibilität in der Planung, aber auch für spätere Umbauten sicher zu stellen, soll das Haus mit der einfachst möglichen statischen Struktur projektiert werden. Betondecken mit vorfabrizierten Betonstützen in einem Achsmass von ca. 6 Metern bilden die Basis. Ausgesteift wird das Tragsystem durch wenige Scheiben im Bereich der Steigzonen. Sämtliche inneren Wände werden in Leichtbau erstellt. Die Konstruktionsart ist günstiger und platzsparender als der herkömmliche Massivbau. Die Aussenwände als Holzrahmenbau unterstützen die ökologische Bauweise.

Nachhaltigkeit und Ökologie
Bezüglich der Nachhaltigkeit ist die grosse Kompaktheit des beheizten Volumens entscheidend. Ebenso zu erwähnen sind die einfache statische Struktur, die durchgehenden Steigschächte sowie die Holzrahmenkonstruktion der Fassade. Die Wärmeabgabe über eine Bodenheizung lässt sich optimal mit einer Erdsonde kombinieren. Die von Minergie-P geforderte systematische Lufterneuerung wird über eine simple Abluftanlage erfüllt. Dabei sind in den Nasszellen Abluftanlagen installiert, die mit einer integrierten Wärmerückgewinnung die verbrauchte Raumluft über Dach abführen. Der entstehende Unterdruck wird mit nachströmender Frischluft ausgeglichen. Mit dieser Lüftung können nicht nur Investitions- und Wartungsaufwände massgeblich reduziert werden, sondern vor allem kann auf Steigzonen für die Zuluft und auf eine horizontale Verteilung in den Decken verzichtet werden.

Mitarbeit Wettbewerb
Peter Baumberger, Karin Stegmeier, Ron Edelaar, Elli Mosayebi, Christian Inderbitzin, Manuel Burkhardt, Christian Franke, Carolin Kubat, Katrin Pfäffli, Daniel Sigrist

Zusammenarbeit
Baumberger Stegmeier Architektur (BS+EMI Architektenpartner AG)

Bauherrschaft
Baugenossenschaft Kalkbreite, Zürich

Illustration: Oculus Illustration GmbH und Illustra, Zürich

Publikation
www.architectural-review.com, 4.10.2016
Hochparterre Wettbewerbe 3/2015