56
Wohnüberbauung Schürmatt
Stansstad
Projektwettbewerb, 2014

Ort und Stadtraum
Stansstad hat seinen Ursprung am Wasser. Der Ort ist gewissermassen die «Marina» von Stans und hat den Anschluss des Kantons an den Vierwaldstättersee gewährleistet. Aufgrund der beengten Platzverhältnisse zwischen Bürgenstock und See hat sich die Siedlungsentwicklung der letzten hundert Jahre im rückwärtigen Schwemmland vollzogen.

Die primäre Struktur dieser Siedlungsentwicklung gab dabei ein bereits früh angelegtes Strassenkreuz vor, dessen eine Achse vom Hafen bis zum Klosterwald reicht und später durch die Autobahn in die Ried- und Rotzbergstrasse zerschnitten wurde. Die andere Achse ist wesentlich kürzer und ist zwischen die ältere See- und Stanserstrasse gespannt. Die Bebauung hat sich lange Zeit an diesem Strassenkreuz orientiert. Die zweite «Reihe» blieb frei von Bebauung.

Durch das Freibleiben strassenabgewandter Grundstücke hat sich zwischen Autobahn und Stanserstrasse eine «grüne Linse» erhalten, die in alten Plänen schlicht als Feld bezeichnet und früher als grosser Obstgarten genutzt wurde. Auch wenn später Teile davon überbaut wurden, ist dieser Raum doch noch als zusammenhängend erkennbar.

Die bereits erwähnte, strassenbegleitende Bebauung der Nachkriegszeit und Gegenwart besteht durchwegs aus kleinen und grösseren Einzelhäusern von architektonisch schlechter Qualität. Man kann darin ein typisch schweizerisch-mittelländisches Bebauungsmuster sehen. Schwerer als die architektonische Qualität des einzelnen Hauses wiegt allerdings der Umstand, dass diese Bebauungsform keine übergeordneten stadträumlichen Qualitäten aufzubauen vermögen. Damit sind insbesondere die Strassenräume gemeint.

Eine Ausnahme bildet die südlich an den Perimeter angrenzende und in der «grünen Linse» erstellte Überbauung aus den 1970er Jahren. Sie ist nicht nur architektonisch von hoher Qualität, sondern besticht vor allem über eine starke Aussenraumbildung und die Ausformulierung dieser Aussenräume als gemeinschaftliche, fast schon parkartig anmutende Grünräume. Damit wird auch die Kontinuität des als «grünen Linse» bezeichneten Raumes nicht in Frage gestellt, sondern vielmehr stadträumlich artikuliert. Was die Überbauung auch zeigt, ist das die Bebauung zwischen Stanser- und Riedstrasse, anders als das historische Zentrum von Stansstad keinen Bezug zum See aufweist, sondern vielmehr die Fernsicht in die angrenzende, voralpine Hügel- und Gebirgslandschaft thematisiert.

Städtebauliches Konzept
Vor dem unter «Ort und Stadtraum» beschriebenen Hintergrund haben wir das städtebauliche Konzept für die Schürmatt entwickelt. Wir haben dazu einige Prämissen definiert:

1. Erhalt der «grünen Linse»: Ähnlich der beschriebenen, südlich angrenzenden Überbauung weist auch die Bebauung der Schürmatt Aussenräume auf, welche die Kontinuität und Lesbarkeit des Grünraumes zwischen Stans und Stansstad gewährt und weiterentwickelt.

2. Formprägende Aussenräume: Ebenfalls analog der angrenzenden Überbauung wirken die Aussenräume der Schürmatt formprägend auf das Bebauungsmuster der Schürmatt ein. Es gibt ein Gleichgewicht zwischen den Gestaltqualitäten umbauter und nicht umbauter Räume. In diesem Sinne geht es um eine Fortsetzung bestehender Qualitäten und um ein Weiterbauen bestehender Strukturen.

3. Primat des Aussenraumes: Dieses Weiterbauen betrifft aber weniger die Siedlungsmuster der 1970er als vielmehr die Form und Qualität des Aussenraumes. Die Bebauung der Schürmatt weist deshalb keine direkten, formalen Anleihen zur südlichen Nachbarschaft auf.

4. Informalität der städtebaulichen Form: Die Bebauung der Schürmatt zeichnet sich vielmehr durch eine Informalität der städtebaulichen Form aus, die zunächst einen ausgeprägten Gestaltcharakter negiert und ihre Kraft aus der Aussenraumform bezieht.

5. Autonomie der städtebaulichen Form: Damit weist die städtebauliche Form bezogen auf ihren unmittelbaren Kontext eine gewisse Autonomie auf, welche aber die Kraft besitzt, Prägnanz und Identität in einer schwach determinierten Umgebung aufzubauen. Vielleicht vergleichbar mit dem Wiederaufbauprojekt Golden Lane der Smithsons wird damit das «ruinenartige» städtebauliche Gefüge überformt.

6. Städtebau anstatt Siedlungsbau: Schliesslich unterdrückt die Bebauung der Schürmatt gerade wegen ihrer autonomen Form den Charakter einer Siedlung und ist vielmehr «städtebaulich» entworfen. Auch bei diesem Aspekt kommt den perimeterübergreifenden Aussenräumen grosse Bedeutung zu.

Architektonisches Konzept
Das städtebauliche Konzept bestimmt weitgehend das architektonische Konzept: Es wird eine Kohärenz zwischen Städtebau, Architektur und Wohnform angestrebt. Auch das architektonische Konzept versuchen wir in wenigen Thesen zu fassen:

1. Typologiefremde Tragstruktur: Der Autonomie der städtebaulichen Form entspricht die Wahl einer für den Wohnungsbau typologiefremden Tragstruktur in Form einer Skelettstruktur bestehend aus kräftigen Stützen und betonierten Geschossdecken. Unabhängig von der Raumstruktur, die je nach Wohnungstypus ändern kann schafft die durchgehende Skelettstruktur einen «inneren» Zusammenhalt.

2. Typologiefremde Raumhöhe: Ebenfalls in Abweichung zu gängigen Wohnungsbaustandards schlagen wir in den Regelgeschossen eine lichte Raumhöhe von 2.90 Metern vor. Mit «typologiefremd» meinen wir jeweils eine für den Wohnungsbau zunächst unübliche Lösung.

3. Spezifische Wohnräume: Die Skelettstruktur in Kombination mit einer lichten Raumhöhe von knapp drei Metern und einem hohen Glasanteil in der Fassade erzeugt spezifische, unverwechselbare Wohnräume. Im Grundriss erlaubt die Skelettstruktur das Ausloten der räumlichen Potentiale des «plan libre» mit offenen, fliessenden Raumfolgen.

4. Räume mit starkem Aussenbezug: Ebenfalls in Beziehung zum bisher gesagten, aber mehr noch in der Absicht, Räume mit Fernsicht in die voralpine Landschaft zu entwickeln, steht die Festlegung einer eher geringen Gebäudetiefe von rund 10 Metern. In dieser Tiefe sind zweibündige Grundrisse möglich, wo jeder Raum einen direkten Aussenbezug hat. Unabhängig in welchen Raum man tritt, man ist immer wieder «draussen». Die lichte Raumhöhe von knapp drei Metern verstärkt diesen Raumeindruck. Innenliegende Räume und Korridore braucht es nicht.

Schliesslich hoffen wir mit der typologiefremden Wahl von Tragstruktur und Raumhöhe wie im städtbaulichen Konzept angedeutet den «Siedlungscharakter» zu unterdrücken und dafür ein autonomes Stück Stadt zu schaffen.

Aussenraum
Wie beschrieben ist der Aussenraum das prägende Element des städtebaulichen Konzeptes. Er gliedert klar sich in grosse, gut gefasste, aussenliegende (sowie über den Perimeter greifende) Garten- und innenliegende Erschliessungsräume. Die Erschliessungsräume nehmen zudem gemeinschaftliche Funktionen auf wie einen Spielplatz, Veloabstellplätze oder einen Gemeinschaftspavillion. Räumlich werden sie durch «Clumps» bestehend aus Laubbäumen strukturiert.

Die Gartenräume werden über segmentförmig angeordnete Strauchplanzungen und verschiedene Obstbäume in Einzelpflanzung gegliedert. Sie dienen primär als Schaugärten, nehmen aber in hausnahen Bereichen auch Privatgärten für die Erdgeschosswohnungen auf.

Die Durchwegung ist nord-südlicher wie auch in ost-westlicher Richtung wird das übergeordnete Wegenetz angeschlossen und steht für die Öffentlichkeit offen. Zudem wird die Erschliessung der Parzellen 1175, 1176 und 1177 sichergestellt. Die Überbauung Schürmatt bleibt frei von Autoverkehr, die Parkierung ist unterirdisch vorgesehen.

Grundleitungen
Die Setzung der Gebäudekörper und die Gliederung der Tiefgarage nimmt Rücksicht auf die bestehenden Grundleitungen im Areal. Die Grundleitungen in nord-südlicher Richtung werden nicht Überbaut und die Tiefgaragenverbindung ist mittels Rampen so gelegt, das die Leitungen unterhalb und oberhalb der Verbindung geführt werden können.

Fassade, Energie und Nachhaltigkeit
Das Projekt soll einerseits den Minergie-Standard erreichen, andererseits wird ein hoher Glasanteil in der Fassade vorgeschlagen. Aus diesem Grund haben wir zusammen mit dem Bauphysikbüro durable – Planung und Beratung GmbH detaillierte Betrachtungen zur Energie und Energieerzeugung angestellt.

Für eine Minergie-Zertifizierung müssen sowohl die Minergie-Kennzahl «Wärme» als auch der Heizwärmebedarf eingehalten werden. Zur Einhaltung der Kennzahl «Wärme» wird eine Grundwasser-Wärmepumpe in Kombination mit thermischen Kollektoren vorgeschlagen. Werden 50% des Warmwasserbedarfs mittels Kollektoren erzeugt (ca. 1m2 Kollektorfläche/Person für 50%), wird die Minergie-Kennzahl «Wärme» weit unterschritten.

Limitierend ist der Heizwärmebedarf. Dieser muss > 90% der gesetzlichen Anforderungen sein. Hierbei entscheidend ist der U-Wert der Fenster, der im Projekt mit 0.9 vorgesehen ist (gemittelt über Glas und Rahmen). Dieser Wert ist mit konventionellen Fenstern gegeben und sorgt für eine wirtschaftliche Lösung. Bei einem Verhältnis zwischen opaker zu transparenter Fassadenfläche von 15%/85% können die 90% der gesetzlichen Anforderungen noch eingehalten werden. Das Projekt weist einen Glasanteil > 70% auf.

Die opaken Teile werden in einer Holzelementbauweise konstruiert und sind damit praktisch frei von Wärmebrücken. Die eingezogenen Aussenräume werden an Boden und Decke gedämmt, sind aussen verglast und funktionieren damit als Klimapuffer respektive dienen dem Energiesparen.

Die gewählten Konstruktionen (massive Tragstruktur/ Skelettbau, Innenwände in Leichtbau, Fassade in Holzelementbau) erfüllen den Anspruch der Systemtrennung und der Nachhaltigkeit.

Hindernisfreies Bauen
Sämtliche Wohnungen sind hindernisfrei über Aufzüge erschlossen. Im Innern messen alle Türen mindestens 80cm im Licht und mindestens ein Bad erfüllt die Anforderungen an das hindernisfreie Bauen. Die Maisonetten an der Stanserstrasse weisen eine Treppenbreite von 100cm auf, sodass diese mit einem Treppenlift nachgerüstet werden können.

Aussenräume Wohnungen
Die privaten Aussenräume in den Regelgeschossen sind bewusst knapp gehalten, da das architektonische Konzept mit hohem Glasanteil und geringer Gebäudetiefe für alle Innenräume einen starken Aussenbezug anstrebt. Die in die Grundrisstiefe reichenden Loggien sind deshalb primär «Scharniere» zwischen Innen und Aussen: Durch die Verbindung mit den Wohnräumen und einzelnen Zimmern werden ganze Innenräume temporär zu «Aussenräumen». Umgekehrt sorgt eine äussere Verglasung der Loggien für eine Wohnraumvergrösserung während den Jahreszeiten Frühling und Herbst.

Mitarbeit Wettbewerb
Ron Edelaar, Elli Mosayebi, Christian Inderbitzin, Isabel Fischer Perez- Lozao, Lukas Burkhart, Sébastien Ressnig

Bauherrschaft
Erbengemeinschaft Rohrer, Stansstad

Landschaftsarchitekt: Hoffmann & Müller Landschaftsarchitektur GmbH, Zürich
Bauphysiker: durable Planung und Beratung GmbH, Zürich