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Wohnüberbauung Notkersegg
Wiesen, St. Gallen
Projektwettbewerb, 2005, 6. Preis

Städtebau und Baukörper
Das Grundstück liegt auf einer reizvollen landschaftlichen Terrasse südöstlich über dem Stadtzentrum von St. Gallen. Die sanfte Senke wird im Norden durch einen dichten Waldstreifen und im Osten durch ein Bauernhof-Ensemble gefasst. Im Süden und Westen grenzt der Perimeter über die Huebstrasse und den Hagenbuchrein an eine kleinteilige Einfamilien- und Reihenhaussiedlung. Dieses Quartier geht auf eine Planung aus den 1960er Jahren zurück und bildet mit dem Oval der Hardungstrasse eine vollständige, in sich geschlossene Form. Ein Weiterbauen an bestehenden Strukturen erscheint nicht zuletzt aus diesem Grund undenkbar.Das Projekt schlägt deshalb eine neue, eigenständige Struktur vor, die zwischen Stadt und Landschaft vermittelt und einen «weichen» Übergang zum Hofensemble schafft. Vorgeschlagen wird eine Komposition aus sechs identischen, sternförmigen Baukörpern. Die Volumen weisen vier Geschosse auf, verzichten dafür auf eine Attika. Die Anlage besteht aus einer Reihung dreier Volumina zum Wald hin; zur Einfamilien- und Reihenhaussiedlung im Süden und Westen sowie zum Bauernhof im Osten formen die Volumina offene Räume, erlauben Sichtbeziehungen in die Tiefe des Grundstücks und eine räumliche Verschränkung mit den differenten Kontexten. Umgekehrt ermöglicht diese Anordnung Blickbeziehungen aus den Wohnungen in die Ferne. Diese stadträumlich einladende Geste nimmt damit Bezug auf mit dem Umland, gleichzeitig wird durch die ausgreifenden, zueinander gedrehten Volumen der Blick gelenkt und gefasst – die Anlage als Ganzes theatralisch inszeniert.Weiter brechen die sternförmigen Körper durch die Abwicklung ihrer Fassaden die relative Grösse der Volumen mehrfach und machen die allseitige Orientierung der Häuser sichtbar; aufgrund der Geometrie gibt es keine Nordwohnungen. Zwei voneinander getrennte Parkgaragen erlauben eine Etappierung in mindestens zwei Phasen.

Aussenraum und Erschliessung
Der Aussenraum wird als grosser, offener Garten begriffen, dessen räumliche Qualitäten ausschliesslich durch die Geometrie und Stellung der Volumina erzeugt werden. Die Häuser werden umgeben von Wiesen, chaussierten Wegen und Obstbäumen. Der Wiesenbach wird nicht vollständig freigelegt, sondern kommt in einer Serie von gefassten Wasserbecken zum Vorschein, die den Verlauf des Baches erahnen lassen. In diesen Becken kommt das Wasser zur Ruhe. Die Becken werden mit unterschiedlichen Wasserpflanzen bepflanzt.Da die Aussenräume restlos dem öffentlichen und halböffentlichen Aussenraum zugeschlagen werden, gibt es keine privaten Aussenräume in der Art von abgetrennten Vorgärten; damit wird nicht zuletzt an die Weite des ursprünglichen Landwirtschaftslandes erinnert, gleichzeitig aber auch ein städtisches Wohnen angeboten, dass in Anbetracht der Stadtnähe und der schönen landschaftlichen Situation angemessen erscheint. Die ersten Wohngeschosse sind denn auch vom Terrain abgehoben und liegen im Hochparterre. Jede Wohnung verfügt über eine grosse Terrasse mit Bezügen in verschiedene Richtungen.Die Neubauten werden separat und direkt von der Hagenbuchstrasse und der Huebstrasse erschlossen. Dabei sind Fussgänger- und Automobilzugänge parallel geführt; der Bewohner hat entweder die Möglichkeit über die Tiefgarage ins Haus zu gelangen, oder er erreicht von aussen über chaussierte Wege und eine flache Rampe den Hauseingang im Tiefparterre. Hier wird die Bewegung in einem polygonalen Innenraum, der von oben Tageslicht erhält, in die vertikale Erschliessung zu den einzelnen Wohnungen geleitet; diese Vertikalräume sind typologisch weder Höfe, noch Treppenhäuser. Von einem Umgang werden jeweils vier Wohnungen erschlossen; die Erschliessung mit einem Lift und einer Treppe pro 16 Wohnungen ist damit sehr effizient.Die Besucherparkplätze sind oberirdisch entlang der Hagenbuchstrasse angeordnet (10 PP). In den unterirdischen Sammelgaragen finden 61 und 58 Autos Platz.

Architektur und Wohnungen
Der Ausdruck der Bauten ist wegen der massiven Bauweise und grossmassstäblicher Proportionen städtisch, aufgrund der Grundrissgeometrien und ausgreifender Terrassen aber auch stark landschaftlich bezogen. Die Allseitigkeit der Solitäre stärkt diesen Charakter. Auch der Fassade kommt dabei wichtige Bedeutung zu: Fensterbänder mit niedrigen Brüstungen schaffen direkte Bezüge zum Aussenraum. Die auskragenden Terrassen lassen die Bauten leicht über dem Terrain schweben.Es werden insgesamt 96 Wohnungen (beim Umbau des Kindergartens zu Wohnraum sind es 98) mit Wohnflächen von 88 bis 133 m2 angeboten. Pro Geschoss gibt es zwei 4.5-Zimmerwohnungen und je eine 3.5- und 5.5-Zimmerwohnung. Der Wohnungsschlüssel erhöht das Angebot an 3.5-Zimmerwohnungen, für die in städtischen und stadtnahen Gebieten wieder verstärkt Nachfrage besteht oder noch erwartet wird.Charakteristisch für die Wohnungen sind mehrgliedrige Wohnräume, die über drei Seiten natürlich belichtet sind (zwei Fassaden, eine «helle» Wand zum Treppenraum) und Zugang auf eine grosszügige Terrasse haben. Ein Eckzimmer in den Spitzen des sternförmigen Grundrisses lässt sich dem Wohnraum zuschlagen und kann vielfältig genutzt werden. Um diese Figur gruppieren sich die eher privaten Zimmer und die Küche. Die Wohnungen lassen unterschiedliche Wohnformen zu.Architektonisch unterscheiden sich die Häuser mit Mietwohnungen von den Häusern mit Eigentumswohnungen zugunsten einer einheitlicheren Erscheinung der Siedlung nicht. So bleibt auch der wünschbare Anteil an Mietwohnungen weiter offen. Die Architektur eignet sich sowohl für Miet- wie Eigentumswohnungsbau.

Konstruktion und Materialität
Vorgeschlagen wird eine rationelle Bauweise mit Geschossplatten in Ortsbeton und tragendem, lokal mit Stahlbeton verstärktem Mauerwerk. Die Aussteifung ist über die Liftkerne und die Badkörper gewährleistet. Die Fassaden bestehen aus vorgehängten, mit einer linearen Struktur versehenen Betonbrüstungen. Die vertikalen Flächen sind verputzt und sollen in Struktur und Farbe nahe an den horizontalen Bändern sein (Zementputz). Gedämmt wird nach Minenergie-Standard an den vertikalen Fassadenteilen mit einer mineralischen Kompaktfassade. Für die verglasten Teile werden gestrichene Holz-Metallfenster vorgeschlagen. Hinter den Betonbrüstungen sind Rafflamellenstoren zur Verdunkelung der Innenräume angebracht.Die Materialisierung der Innenräume ist in der Anzahl der verwendeten Matrialien und Farben zurückhaltend. Für die Wände und die Decken ist ein Weissputz vorgesehen. Die Böden werden durchgehend homogen; denkbar sind zementgebundene Giessböden oder ein Gussasphalt. Vor allen Fenstern können Vorhänge gezogen werden, um den Grad an Intimität jederzeit individuell bestimmen zu können. Zudem sind Vorhangsschienen im Eingansbereich jeder Wohnung angebracht, um diesen vom Wohnraum abzutrennen.Energietechnische Massnahmen und bauökologische AspekteMit den kompakten Gebäudeformen der Solitäre und dicken Dämmstärken kann der Minergie-Standard trotz einem relativ grossen Glasanteil erreicht werden. Voraussetzung dazu sind Isolierglasfenster mit 0.8 W/m2K, ein Wert der mittlerweile bereits mit einer konventionellen Zweifachverglasung erreicht wird und demnach wirtschaftlich bleibt. Für die Konstruktion und Verkleidung sind ausschliesslich recyclierbare, natürliche Materialien vorgesehen.

Mitarbeit Wettbewerb
Ron Edelaar, Elli Mosayebi, Christian Inderbitzin, Christian Dehli, Mathis Keller

Bauherrschaft
Direktion Bau und Planung, Stadt St. Gallen

Publikation
Hochparterre Wettbewerbe 4/2006