Luzern
Studienauftrag, 2018, 2. Preis
Die städtebauliche und architektonische Idee baut auf den historischen und gegenwärtigen Qualitäten des Ortes auf: Ein Terrain vague mit verschiedenartigen Häusern, stummen Schuppen, Platzflächen, einzelnen, wild gewachsenen Bäumen und einer lebendigen Kultur. Seiner heutigen Nutzung entsprechend wird das Areal Industriestrasse als ein «Lagerplatz in der Stadt» verstanden, auf dem unterschiedliche Menschen, Häuser und Ideen zusammenfinden. Es wird eine Kontinuität des Veränderlichen und Informellen gesucht. Das Projekt sieht auf diesem Platz eine «Versammlung» von sechs individuellen Häusern vor, die eine zusammengehörige, aber informell verbundene Gruppe bilden.
Mit der Häusergruppe werden verschiedene Aussenräume geschaffen. Die drei Hofräume bilden die gemeinschaftlichen und öffentlichen Zentren: der Quartierhof, der Spielhof und der Beizenhof. Aufgrund der freistehenden, solitären Häuser wird das Areal durchlässig und über zahlreiche Wegverbindungen in die Stadt eingebunden. Die Idee für den gemeinschaftlichen und öffentlichen Aussenraum sieht keine festgeschriebene Form vor, sondern verändert sich – einem Ökosystem gleich – durch die Interaktion von Menschen, Vögeln, Insekten und Pflanzen immerfort und lagert verschiedene Schichten ab.
Jede Genossenschaft erhält ihr eigenes, anderes Haus. Die Häuser unterscheiden sich nicht nur im Ausdruck, sondern ganz wesentlich bei den Wohnräumen. Neben der Idee für eine spezifische Wohnform sind die Räume bei allen Häusern aus dem jeweiligen konstruktiven Aufbau entwickelt. Diese Aufbauten folgen der Idee von «Stapelungen». Die Regeln der Stapelungen werden bestimmt über die Art der Holzelemente und die additive, tektonische Logik der Holzbauweisen: Stäbe, Platten, Raumkörper. Der Holzbau prägt den Innenraum in seiner Gestalt, Haptik und Atmosphäre.
In ihrer Unterschiedlichkeit bieten die sechs Häuser die Voraussetzung für ein durchmischtes und sich stetig wandelndes Quartier für alle Lebensformen und Altersgruppen. Das Wohnen nistet sich in den offenen Räumen ein. Ähnlich den Wandlungen im Aussenraum ist dieser Prozess nie abgeschlossen, die Spuren individueller Biografien werden erweitert, ausgedünnt und verändert.
Die Dachformen der fünf neuen Häuser prägen deren individuellen Ausdruck und Charakter. Durch die Dächer werden aus den Häusern eigentliche «Figuren». Zusammen bilden die Dächer eine Dachlandschaft, die eine zweite Ebene des gemeinschaftlichen Aussenraumes formt.
Haus #1 Wogeno
Von den fünf Häusern ist das Haus der Wogeno das kleinste. Mit seinen sechs Geschossen und dem Dachgeschoss erhält es dabei beinahe die Proportion eines kleinen Turmbaus, – eine Sphinx – bekrönt durch das «Gerüst» der Dachterrasse. Das komplett in Holz konstruierte Haus ist aus Balkenstapeln (tragende Wandschotten) und Balkenlagen (Decken) aufgebaut. Die sechs Balkenstapel gliedern den Grundriss in fünf Raumkompartimente mit Ost-West-Orientierung. In diesen Kompartimenten lassen sich – insbesondere mit den zwei Schaltzimmern – in den Treppenhausspangen unterschiedliche Wohnungsgrössen und -typen organisieren: von der 1- bis zur 5-Zimmer-Wohnung.
Haus #2 Wohnwerk
Das Haus der Wohnwerk liegt an der Industriestrasse und prägt die Adresse der Kooperation. Der konstruktive Aufbau aus Balkenstapeln und Balkenlagen ist eine Variation des Wogeno-Hauses. Die Balkenstapel bilden eine dreischiffige, längsgerichtete Grundrissstruktur aus. Die mittige Raumschicht dient als «geteilter» Raum. Westseitig befinden sich die Grundmodule «Wohnen» (Kochen, Wohnen, Zimmer, Bad), ostseitig sind zusätzliche Zimmer und Bäder angeordnet. Diese Disposition beschreibt das Konzept «atmender» und «geteilter» Wohnungen, eine Interpretation des Molekular-Ansatzes: Zum «Wohnen» können je nach Haushaltsgrösse Zimmer zugemietet oder weitergegeben werden («atmen»), das mittige Schiff wird mit der Stockwerkgemeinschaft geteilt.
Haus #3 LBG
Das Haus der LBG besetzt die Mitte des Areals und hat Anstoss an die drei Platzräume. Das Erdgeschoss nimmt den Kindergarten und die Kita auf. Das Haus besitzt ein eigenes Prinzip der «Stapelung», bei dem raumhaltige «Tubes» aufeinander geschichtet werden. In Querrichtung nehmen diese vorfabrizierten «Tubes» alle installierten Räume wie Küchen und Bäder auf. Die Decken bestehen aus röhrenförmigen Kastenelementen. Die Wohnungen entwickeln sich beidseitig respektive um einen Tube herum, was eine weitläufige «Geografie» im Innern erzeugt. Im überhohen Dachgeschoss liegen Musikräume (Vorführung, Musikschule etc.).
Haus #4 ABL
Das Haus der ABL ist der grösste Neubau, was sich in einer kompakten Grundrissorganisation mit grösseren Eckwohnungen und mittigen Kleinwohnungen mit Ost- respektive Westorientierung manifestiert. Die Gebäudestruktur besteht aus einem massiven Sockelgeschoss, auf dem sich ein filigraner Elementbau mit Brettholzscheiben errichtet – von der Leichtigkeit einem Kartenhaus ähnlich. Dieser Tragstruktur entspricht eine feingliederige Raumstruktur, bei der auf den Längsseiten sechs, auf den Schmalseiten ein Zimmer schaltbar sind und sehr viele Einstellungsmöglichkeiten hinsichtlich Wohnungsgrössen und -typen offen lassen. Alle Wohnungen werden über ein zweiteiliges Atrium erschlossen, das sich auf dem Dach in ein Glashaus für die Hausgemeinschaft öffnet.
Haus #5 GWI
Der Neubau der GWI wird in einer zweiten Etappe realisiert, wenn der Altbau am Geissensteinring weichen muss. Die Tragstruktur ist aus Brettsperrholzscheiben zusammengesetzt, die ein Raumkabinett aus einem Ring von kleineren und einem Kern von grossen quadratischen Räumen bilden. Die Raumkanten sind allseitig offen und lassen Raum für Fenster und Türen. Damit sind vielfältige Schaltmöglichkeiten gegeben: von der abschliessbaren 1-Zimmer-Wohnung bis zur Stockwerkswohngemeinschaft. Je nach Anzahl gebauter Türen können auch diese Wohnungen «atmen» und sich jederzeit den sich verändernden Bedürfnissen anpassen. Auf dem Dach ist ein Hauskraftwerk für die Warmwasserproduktion vorgesehen, das den Ausdruck des Hauses mitprägt.
Haus #6 Industriestrasse GWI
Das Haus an der Industriestrasse 9 wird umgebaut. Im Untergeschoss entsteht ein Konzertlokal, im Erdgeschoss neben dem Gemeinschaftsraum ein Restaurant mit Zugang zum Platz, im Obergeschoss findet eine Ateliergemeinschaft Platz und im Dach eine Wohngemeinschaft. Diese unterschiedlichen Raumstrukturen bauen alle auf dem inneren Skelettbau des alten Käselagers auf. Die Zimmer der Wohngemeinschaft im Dachgeschoss erhalten Licht über grosse «Ochsenaugen», die Teil der verspielten Dachlandschaft mit den vielen Kaminen wird. Das Haus ist ein wichtiger Identifikationsort für die Kooperation.
Mitarbeit Wettbewerb
Ron Edelaar, Elli Mosayebi, Christian Inderbitzin, Lukas Burkhart, Philippe Buchs, Sven Fawer, Flavio Nef
Bauherrschaft
Kooperation Industriestrasse Luzern
Landschaftsarchitekt: Ganz Landschaftsarchitekten GmbH, Zürich
Holzbauingenieur: Walter Bieler AG, Bonaduz
Publikation
Hochparterre Wettbewerbe 4/2018
werk, bauen + wohnen 9/2018