Wohn- und Gewerbehaus Speich Areal
Zürich-Wipkingen, 2011–2015
Studienauftrag, 2010, 1. Preis

Stadtraum und Quartier
Das Speichareal befindet sich in einer spezifischen städtebaulichen Situation zwischen einem Blockrandquartier (Quartiererhaltungszone QI 4b), einer heterogenen Bebauung um den Wipkingerplatz, der Hardbrücke und dem Flussraum, die nach einer leistungsstarken, janusköpfigen Lösung verlangt. Das Projekt trägt diesen Bedingungen mit einem Volumen Rechnung, welches in seiner expressiven Gestalt und zwei unterschiedlich formulierten Seiten eine hohe Präsenz und Eigenständigkeit aufbaut, dabei aber gleichzeitig vermittelnde Funktionen erfüllt.
Damit ist insbesondere die Kopfausbildung zum Wipkingerplatz gemeint, welche die Kraft besitzt, diesem Ort eine neue Identität zu geben. Auf der Seite der Hönggerstrasse knüpft der Neubau in seinem Ausdruck an die quartiertypischen Blockrandbauten an, die über eine klassische Gliederung in Sockel, Regelgeschosse und Attika sowie architektonische Elemente wie Erker und Dachterrassen verfügen. Auch die äussere Materialisierung folgt mit einer Neuinterpretation dieser Absicht. Der grosszügige, öffentliche Durchgang zur Limmat tritt als ebenfalls bekannte «Hofdurchfahrt» in Erscheinung.
Auf der Flussseite wird durch eine feine Terrassierung des Gartens, die Ausbildung der «Hofgebäude» als Gebäudesockel sowie Balkone und Dachterrassen ein wiederum eigener Charakter erzeugt, der als vertikaler oder hängender Garten gelesen werden kann. Er schafft einen hohen Wohnwert und gleichzeitig einen landschaftsbezogenen, gleichwohl urbanen Ausdruck zur Limmat hin.

Erdgeschoss und Offene Räume
Das Erdgeschoss vermittelt zwischen Strassen- und Flussseite: die hier angeordneten «Offenen Räume» verfügen zur Hönggerstrasse hin über öffentliche Raumbereiche mit Schaufenster, die sich zum Garten und Fluss in einer Zweigeschossigkeit öffnen und sukzessive privatisieren lassen. Damit bieten sich diese Räume sowohl als Läden wie auch als Ateliers mit Wohnnutzung an. Eine Leichtbauweise zwischen den Niveaus ±0 und -1 lassen für den Ausbau grosse Freiheiten. Zwischen die «Offenen Räume» eingelagert finden sich direkte und übersichtliche Eingänge in die drei Treppenhäuser; zwei davon dienen ausschliesslich der Wohnnutzung, das dritte mit einer repräsentativen Eingangsgangshalle den Büro- und Gewerbenutzungen.
Im bestehenden Hofgebäude, das prominent am öffentlichen Durchgang respektive der Wegverbindung zum Fluss liegt, wird ein Atelier sowie flussseitig ein kleines Lokal mit Terrasse — beispielsweise eine Gelateria für die sommerlichen Nutzer des Flussraumes — vorgeschlagen. Das Atelier könnte periodisch an einen Artist in Residence vergeben werden, um dem Ort eine Magnetkraft zu geben.
Für die Firma Speich sind repräsentative, gut einsehbare Räume zum Wipkingerplatz auf ebenfalls zwei Geschossen vorgesehen.

Regelgeschosse
Über dem Erdgeschoss folgen drei, bis auf die Aussenräume identische Regelgeschosse, mit jeweils angemessen grossen und von der Zimmeranzahl unterschiedlichen Wohnungen sowie einer gut unterteilbaren Gewerbefläche im Gebäudekopf. Das Gebäude verfügt über eine effiziente Erschliessung, indem pro Geschoss jeweils drei Wohnungen respektive die Gewerbefläche über ein Treppenhaus erschlossen sind. Angeboten werden pro Geschoss und Treppenhaus eine kleine Zweizimmerwohnung, eine geräumige Drei- sowie eine grosszügige Vierzimmerwohnung. Die sechs Wohnungen auf dem Niveau +1 verfügen über eine begrünte Terrasse, die Wohnungen auf den Niveaus +2/+3 jeweils über tiefe, teilweise eingezogene Balkone, die einen guten Lärmschutz gewähren.
Die mit dem dritten Treppenhaus erschlossenen Gewerbeflächen lassen sich aufgrund der Skelettbauweise flexibel in Einheiten unterteilen. In den Plänen sind mögliche Einteilungen und Nutzungen nachgewiesen. Schächte an den Treppenhausstirnen ermöglichen den einfachen Anschluss von Toiletten und Teeküchen in der Gebäudetiefe, ohne das dafür Schächte in den Nutzflächen nötig werden. Der Lärmschutz ist über eine kontrollierte Lüftung gegeben.

Attika und Dachterrassen
Im Attikageschoss reduziert sich die Anzahl Wohnungen von sechs auf vier Einheiten, die dafür der Lage entsprechend grosszügiger ausgestaltet sind. An den beiden Treppenhäusern sind je eine grosse Fünf- sowie eine grössere Zweizimmerwohnung angegliedert. Sie ergänzen den Wohnungsmix sinnfällig, der den geforderten Schlüssel damit erfüllt (total 22 Wohnungen). Über den Gewerberäumen werden im Attika «Junge Räume» mit rund 160 m2 angeboten, deren Ausbau ebenfalls verschiedene Optionen offen hält.
Die grossen Fünfzimmerwohnungen sowie die «Jungen Räumen» verfügen über einen wohnungsinternen Aufgang auf eine private Dachterrasse, welche die Aussenräume auf Wohnungsniveau ergänzen. Zwei weitere Dachterrassen sind aus den Treppenhäusern erschlossen und können von sämtlichen Bewohnern genutzt werden. Die teilweise ebenfalls begrünten Dachterrassen komplettieren die Idee des vertikalen Gartens der Flussseite. Die nicht genutzten Dachflächen sind für Warmwasserkollektoren vorgesehen.

Wipkingerplatz
Das Gebäudevolumen baut zum «harten» Wipkingerplatz hin mit einer kräftigen, städtebaulichen Geste eine hohe Präsenz auf und besetzt die Ecke mit einer grossen Gebäudetiefe, die durch zwei Erker möglich wird.
Zur Hönggerstrasse hin sucht der Gebäudekörper mit einer Neuinterpretation der klassischen Dreiteilung in Sockel, Regelgeschosse und Attika eine Affinität zur quartiersüblichen Blockrandbebauung. Diese besteht in einer plastischen Verwischung oder Verschmelzung der drei Bereiche, die wesentlich zur Expressivität und der am Ort geforderten Ausdruckskraft beiträgt. Auch die Befensterung sucht eine Nähe zum Bestand. Gleichzeitig überführen die liegenden Lochöffnungen, welche zum Platz hin (Büronutzung) zu bandartigen Fenstern wechseln, den Ausdruck in eine zeitgemässe Architektursprache.
Die Materialisierung mit leicht glänzendem Keramik — in seiner Farbe an die ortstypischen, ockerfarbenen Backsteine erinnernd — kontrapunktiert respektive entmaterialisiert durch je nach Tageszeit unterschiedlichen Lichtreflexionen die relative Massigkeit und Schwere des Körpers. Das helle Aluminium unterstützt diese städtische Eleganz im Ausdruck.

Wohnungen
Die Wohnungsgrundrisse bieten einen grossen, räumlichen Reichtum und verschiedene Nutzungsmöglichkeiten. Die Layouts reagieren zudem auf die schwierigen Bedingungen des Lärmschutzes: ein offenes Zimmer auf der Flussseite, welches verschieden genutzt wie auch dem Wohnen zugeschlagen werden kann, erlaubt die Reduktion auf wenige Zimmer zur Hönggerstrasse hin, die über Erker und Einschnitte seitlich gelüftet werden. Balkone und Einzüge gewähren einen guten Lärmschutz sämtlicher Räume auf der Flussseite. In Ergänzung zum «offenen Zimmer» werden auch stark private Räume angeboten, die teilweise über abgeschlossene Vorbereiche erschlossen sind, an denen zudem die Badräume und Reduit angegliedert sind.

Konstruktion und Materialisierung
Das Gebäude soll in einer konventionellen Skelettbauweise in Ortbeton und vorfabrizierten Schleuderbetonstützen erstellt werden, damit bei der Organisation der Grundrisse während der Planung und bei späteren Umbauten maximale Flexibilität besteht. Die Lastabtragung wie auch die Schachtführung erfolgt bis ins Niveau -2/in die Tiefgarage vertikal (Minergie-Eco-Kriterium). Die Innenwände können damit konventionell und preisgünstig gemauert oder in Trockenbauweise erstellt werden. Zwischen den Niveaus ±0 und -1 wird die Betondecke nur bis knapp in die Gebäudemitte gezogen, um hier auch eine Flexibilität im Schnitt zu gewähren, sodass in den Offenen Räumen ohne weiteres auch zweigeschossige Räume möglich sind.
Die Fassade ist als Kompaktfassade mit kleinteiligem, vertikal strukturiertem Keramik vorgesehen; eine mittlerweile erprobte und als System angebotene Konstruktion, die dem Gebäude den beschriebenen, unverwechselbaren Ausdruck verleiht und weitgehend unterhaltsfrei ist. Holz-Metall-Fenster mit hell eloxiertem Aluminium unterstreichen die Noblesse und Eleganz der Adresse. Die Farbigkeit und Textur sucht zudem eine strukturelle Verwandtschaft zu quartierstypischen Bauten mit ihren ockerfarbenen Backsteinen in den Regelgeschossen.
Ausreichende Dämmstärken, natürliche Materialien sowie die Gewin-nung erneuerbarer Energie (bspw. Warmwasserkollektoren auf dem Dach) sorgen das Erreichen des Minergie-Eco-Labels.

Vertikaler Garten
Der Ausformulierung der Flussseite liegt die Vorstellung einer «begrünten Arena», eines vertikalen Gartens zugrunde. Diese Idee wird mit zwei weiteren Aspekten überlagert: erstens mit der Idee eines Grünraumes, der sich sukzessive mit der Höhe kultiviert, das heisst von der «wilden» Natur des Flussraumes in einen immer «künstlicheren» Aggregatszustand übergeht. Mit dieser Entwicklung geht zweitens eine zunehmende Privatisierung der Grünräume einher: auf die untersten Bereiche am Kloster-Fahr-Weg, die im Zusammenspiel mit einer Lokalnutzung im Hofgebäude und der Wegverbindung ins Quartier durchaus öffentlich zugänglich sein können, folgen gemeinschaftliche Bereiche für das gesamte Haus sowie die Offenen Räume. Die Terrassen, Balkone und Dachterrassen schliesslich sind für die Bewohner reserviert.

> Lageplan

Mitarbeiter Wettbewerb
Ron Edelaar, Elli Mosayebi, Christian Inderbitzin, Gabi Bernath-Hauser, Michael Reiterer, Pascal Steiner

Mitarbeit Planung und Ausführung
Ron Edelaar, Elli Mosayebi, Christian Inderbitzin, Projektleitung: Michael Reiterer, Samuele Tirendi, Nina Villiger, Architektin: Gabi Bernath-Hauser, Praktikant*innen: Franziska Maria Singer, Simon Cheung, Matthias Alder, Joannis Nikoloudis, Moritz Leinhos

Bauherrschaft
Speich Immobilien AG, Zürich

Baumanagement: Caretta + Weidmann, Zürich
Landschaftsarchitekt: Ganz Landschaftsarchitekten BSLA, Zürich
Ingenieur: Dr. Lüchinger + Meyer Bauingenieure AG, Zürich
HLS-Planer: Planungsbüro Roman Böni GmbH, Oberentfelden
Elektroplaner: J. Kowner AG, Zürich
Bauphysiker: Raumanzug GmbH, Zürich

Publikation
Architekturführer Zürich, DOM publishers 2022
Architekturführer Zürich, Edition Hochparterre 2020
Zürcher Wohnungsbau 1995–2015, Quart Verlag 2017
archithese, 01/2016
Wipkingen Info, April/Mai/Juni 2012
Tages-Anzeiger, 19.3.2012
GAM.08, März 2012
www.hochparterre.ch, 6.4.2011