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Wohn- und Gewerbehaus Hortus
Hochbord, Dübendorf
Studienauftrag, 2017, engere Wahl
Regelgeschoss

Städtebau und Architektur
Das Hochbord-Quartier befindet sich im Übergang von einer industriellen und gewerblichen Struktur hin zu einem gemischt genutzten Stadtquartier. Unterschiedliche Neubauprojekte für Wohnen und Dienstleistung wechseln sich mit bestehenden grossmassstäblichen Bebauungen ab. Anstelle eines einheitlichen Stadtkörpers entstehen auf den einzelnen Baufeldern solitäre Areale, deren Bauten unterschiedlichen städtebaulichen und architektonischen Konzepten folgen. Jedes Projekt muss dabei seine Identität und Kraft aus einer ihm inhärenten Idee entwickeln.
In unserem Projekt bilden verschiedene Arten von Gärten – öffentliche und gemeinschaftliche Freiräume – sowie die Suche nach einer spezifischen Wohnform die Ausgangspunkte des städtebaulichen und architektonischen Konzeptes: Vorgeschlagen wird eine Gebäude, das vom Leben mit und an Gärten erzählt. Damit ist ein Haus gemeint, dessen Aufbau und Form Assoziationen weckt, die über ein reines Wohnhaus hinausweisen: Das können Assoziationen mit gewerblichen Strukturen sein, wie die ehemalige Gärtnerei, oder mit landwirtschaftlichen Nutzbauten, z. B. Scheuen oder Gewächshäuser, wie man sie auf dem Areal und im Quartier noch vorfindet.
Die Architektur des Projektes wird bestimmt durch eine Volumetrie, die in ihrem Umriss das Grundstück besetzt und so Präsenz entwickelt und über offene Ecken sowie die Ausbildung von Plätzen das Haus gleichwohl zum Quartier hin öffnet, respektive damit verbindet. Im Ausdruck binden eine umlaufende Pfeilerstellung und eine homogene Dachform die unterschiedlichen Fassadenteile und Nutzungsbereiche zusammen. Zwischen den Betonpfeilern besteht die Fassade in den unteren Geschossen aus einer eierschalenfarbenen Eternitverkleidung, in den oberen aus einer senfgelb gestrichenen Holzschalung. Die Einschnitte der Dachgärten sowie partielle Aufbauten eines zweiten Dachgeschosses erzeugen eine ausgeprägte Silhouette. Die beiden Glashäuser wirken wie zwei Laternen oder Augen und markieren die beiden Hauptzugänge.

Aussenräume und Gärten
Gemeinschaftliche Aussenräume und Gärten prägen das Projekt und das Wohnen massgebend. Die sehr unterschiedlichen Räume befinden sich auf zwei Ebenen, nämlich dem Erd- und Dachgeschoss. Im Erdgeschoss verbinden vier Plätze das Gebäude mit dem Quartier. Sie können je nach anliegenden Erdgeschossnutzungen unterschiedlich programmiert werden. Vorgeschlagen wir am Hauptzugang an der Zukunftsstrasse ein befestigter Marktplatz, der wie eine utopische Skalierung der umgebenden Grosseinkaufshäuser funktioniert. Am diagonal gegenüberliegenden Zugang vom Bahnhof Stettbach wird ein Quartierplatz geschaffen, wo sich auch ein Grossteil der Veloabstellplätze befindet. Der Quartierplatz steht für die Wohnbauten am Fuss- und Veloweg als eine Art Schaufenster: spontane Begegnungen, lebendiges Treiben sowie gemeinsames Essen und Trinken auch mit Bewohnern der umliegenden Siedlungen soll hier initiiert werden.
Im Südosten wird ein Spielplatz entworfen, der sich nach Süden mit der Nachbarüberbauung und nach Westen über das Bistro mit dem Quartierplatz verbindet. Im Schatten der Bäume finden die Bewohner ein grosses Planschbecken und einen Sandkasten, im prächtigen Walnussbaum kann zu einer Baumhütte geklettert werden. Im Nordwesten schliesslich wird ein siedlungsinterner Grillplatz mit überdachter Gartenküche und Grillstelle vorgeschlagen. Längs des Gebäudes werden die vier Plätze über lineare Freiräume, einen chaussierten Spielstreifen für Pétanque und Tischtennis entlang des Zukunftsweges sowie Pflanzgärten und Tiergehege entlang des Chästrägerweges zusammengebunden. Die Lage entlang der Bahnstrecke orientiert sich an den unzähligen Schrebergärten an anderen Bahngeleisen.
Als übergeordnete vegetative Struktur legt sich ein arboretumartiger Gürtel aus kulturgeprägten gärtnerischen Gehölzen um das Geviert und lässt so einige der prachtvollen und malerisch gewachsenen Gehölze aus der Gärtnereizeit zum selbstverständlichen Teil des neuen Projektes werden. Die gärtnerische Vergangenheit des Ortes bleibt so auch in Zukunft präsent.
Im Innern des Gebäudes befindet sich gleich dem Futter eines Handschuhs ein Hof. Er beschreibt eine Landschaft, die wie ein unangetastetes Relikt aus der Zeit vor der Besiedlung erscheint. Eine pittoreske, künstlich erstellte Naturlandschaft wächst hier wie die Moorbirkenwälder vor der Zeit der Trockenlegungen und bildet im Ensemble einen grünen und kontemplativen Ort. Die robuste und ruderale Vegetation – der Hof ist nicht unterbaut – ist wie jene der anderen Aussenräume offen für Veränderungen durch die Hausbewohner. Während sich auf den vier offenen Platzräumen die Aktivität der Bewohner mit der Nachbarschaft verklammert, bietet der Wohnhof einen ruhigen Rückzugsort; hier unterhält man sich zu zweit oder liest ein Buch. Er bietet Raum für das tägliche Leben.
Die zweite Ebene der gemeinschaftlichen Freiräume befindet sich auf dem Dachgeschoss, wo jede Treppenhausgemeinschaft Zugang zu einem geschützten Dachgarten für Gartenarbeit und Aufenthalt in kleineren Gruppen hat. An den Süd- und Ostwänden können Spaliere gezogen werden, welche die Pergolen zu einem Schatten spendenden Dach werden lassen. An zwei dieser Dachgärten sind die beiden laternenartigen Glashäuser angeschlossen. Sie können unterschiedlich bespielt und eingerichtet werden, sei es als Gemeinschaftsräume oder als Nutzgärten. Anders als die Freiräume im Erdgeschoss sind die Dachgärten und Glashäuser den Bewohnern vorbehalten.

Erdgeschoss, gemeinschaftliche Räume und Wohnen
Das Gebäude wird von aussen über offene Treppen erschlossen. Alle Treppen verfügen über einen Hofzugang, der auch den hindernisfreien Zugang für jene Orte schafft, wo sich das Wohnen auf dem Hochparterre befindet. Die sechs Treppen definieren Hausgemeinschaften von 35–45 Personen. Die offenen Anlagen sind grosszügig gestaltet, wo sich diese Gemeinschaften begegnen und austauschen; dieser Idee folgend befinden sich hier auch einzelne ergänzende, private Aussenräume der Wohnungen.
Das Erdgeschoss weist eine hohe Durchlässigkeit auf und schafft so zahlreiche Verbindungen zwischen den Strassen, den beschriebenen Plätzen und dem Hof. Das Wohnen beschränkt sich auf die beiden mittleren Teile der Längskörper. In den Köpfen und in den Kehlen der Plätze befinden sich grosse und kleine Atelierräume, die als Läden, Kinderkrippe usw. die Aussenräume beleben. Sie sind grosszügig verglast und schaffen eine Kontinuität zwischen Innen- und Aussenraum. Zwischen diesen Raumangeboten gibt es Unterschiede bezüglich Grösse und Intimität. Zusammenhängende Flächen lassen sich flexibel unterteilen und vermieten. Das Bistro im Süden verbindet Spielplatz, Quartierplatz und Hof. Die beiden Waschküchen sind zentral am Gelenken zwischen Platzräumen und Hof angeordnet.
Die vorgeschlagene Wohnform weist ein hohes Mass an Informalität auf: Alle Wohnungen werden direkt aus dem Aussenraum erschlossen und man tritt jeweils unmittelbar in die zentralen Raumfiguren mit Kochen, Essen und Wohnen. Die Raumstrukturen der Wohnungen entwickeln sich dabei im Skelettbau frei und unterschiedlich, sodass die Wohnungen ein hohes Mass an Individualität besitzen. Die Mehrzahl der Wohnungen ist ost-west-orientiert, in den Kopfbereichen erreichen die Wohnräume eine dreiseitige Ausrichtung. In einzelnen Wohnungen lässt sich – beispielsweise für Wohngemeinschaften – vom Wohnraum ein zusätzliches Zimmer abtrennen. In anderen Wohnungen ist ein grösseres Zimmer – etwa für einen Teenager oder eine Musiklehrerin – separat von aussen zugänglich. Schliesslich können in den beiden Dachgeschossen je vier Einzimmerwohnungen über einen Gemeinschaftsraum zu Grosswohnungen zusammengeschlossen werden.

Konstruktion und Materialisierung
Für die Tragstruktur wird ein Skelettbau bestehend aus vorfabrizierten Stützen, Ortbetondecken und aussteifenden Elementen wie die Liftschächte vorgeschlagen. Der Skelettbau schafft die strukturellen Voraussetzungen für die flexible Aufnahme der verschiedenen Programme. Er bietet zudem Flexibilität in der Planung und bei zukünftigen Umbauten. Er bietet aber auch ein architektonisches Potential im Innenraum und trägt zur spezifischen Wohnform bei. Der Skelettbau wird mit Holzelementbau an Fassade und Dach geschlossen. Die Raumstruktur, also alle inneren Wände, wird in Leichtbau erstellt. Mit dieser Konstruktion sowie einer konsequent vertikal geführten Haustechnikerschliessung wird eine komplette Systemtrennung erreicht.
Die Holzelemente an den Fassaden werden mit Eternit und einer Holzschalung hinterlüftet verkleidet. Diese dauerhafte Konstruktion kann gegebenenfalls auch unabhängig von weiteren Bauteilen ersetzt werden. Für die Fenster sind Holz-Metall-Fenster in natureloxiertem Aluminium vorgesehen. Die flach geneigten Dächer werden mit Eternit gedeckt und über aussen liegende Rinnen und Spenglerrohre entwässert.

Nachhaltigkeit, Energie und Lärmschutz
Das oberste Kriterium der Nachhaltigkeit ist die Dauerhaftigkeit und Anpassungsfähigkeit eines Gebäudes, die im Projekt über die gewählte Konstruktion angestrebt wird. Im Weiteren werden mit der Holzelementbauweise im gesamten Dämmperimeter sehr gute Dämmwerte erzielt und erneuerbare Baustoffe eingesetzt. Die flach geneigten, ost-west-orientieren Dächer eignen sich für die Energiegewinnung mit Photovoltaik und Warmwasserkollektoren.
Bei der Haustechnik soll ein Lowtech-Ansatz verfolgt werden. Sofern überhaupt eine kontrollierte Lüftung gebaut wird, käme eine einfache Abluftanlage mit Wärmerückgewinnung und passiver Nachströmung im Fassadenbereich in Betracht. Die Abluftführung erfolgt ausschliesslich vertikal und findet in den Vorschatzschalen der Badezimmer Platz. Die Nachströmelemente werden in die Holzbauelemente integriert.
Der Lärmschutz wird primär über die Grundrisslösung erbracht, indem sämtliche Wohnräume lärmabgewandt gelüftet werden können. Die Erker für einzelne stirnseitige Zimmer wurden in der Überarbeitung vergrössert. Im Bereich der westlichen Aussenwand können die geforderten Werte entweder über ein besseres Fenster oder eine innere Vorsatzschale auf den Holzelementen, die gleichzeitig als Installationsebene dient, erreicht werden.

Mitarbeit Wettbewerb
Ron Edelaar, Elli Mosayebi, Christian Inderbitzin, Simon Cheung, Jakub Gondrowicz, Rabea Kalbermatten, Charlotte Nobre

Bauherrschaft
Jörg Kohler, Dietlikon und Wogeno, Zürich

Landschaftsarchitekt: Ganz Landschaftsarchitekten GmbH, Zürich
Bauphysik: AIK Architektur und Ingenieur Kollektiv, Zürich

Publikation
Hochparterre Wettbewerbe 5/2017