Zürich-Schwamendingen, 2009–2014
Projektwettbewerb, 2009, 1. Preis
Stadtraum und Quartier
Der von A. H. Steiner um 1948 als Gartenstadt entworfene Stadtteil Schwamendingen besitzt noch heute seine Gültigkeit und hat viel von seinem ursprünglichen Charakter als Zürichs «Gartenzimmer» behalten, der durch weitläufige Wohnquartiere mit zeilenförmigen Bauten von geringer Dichte und durchlässige Aussenräume bestimmt wird. Von besonderem Interesse sind die oftmals feinen Abstufungen der Nutzungsintensitäten und Öffentlichkeitsgrade in den Freiräumen.
Das Wohnquartier Herbstweg zeichnet sich durch zweigeschossige Reihenhäuser und dreigeschossige Geschosswohnungsbauten aus. Zahlreiche Einfamilienhäuser setzen das Bebauungsmuster des angrenzenden Quartiers Oerlikon fort. Die wenigen höheren Bauten im Quartier Herbstweg sind erst ab den 1980er Jahren als Ersatzbauten entstanden.
Das direkte Umfeld des Planungsperimeters wird durch Einfamilienhäuser charakterisiert. Diese liegen teilweise innerhalb grösserer Baufelder, also in zweiter und dritter Reihe, und werden durch schmale Stichwege erschlossen. Die Aussenräume sind vorwiegend privat und werden intensiv als stark durchgrünte Gärten genutzt.
Baukörper und Aussenraum
Das Projekt sieht zwei (und einen untergeordneten dritten) Baukörper vor, die in ihrer volumetrischen Entwicklung wichtige Merkmale der umliegenden Bebauung und der Aussenräume adaptieren, wie in der Tiefe des Baufeldes gestaffelte Fassaden, Gebäudehöhen und -tiefen sowie die Dimensionen der privaten Gärten. Um den Charakter der Siedlungstypologie zu wahren und von der Stimmung der umliegenden Gärten zu profitieren, durften die Bauten nicht mehr als drei Geschosse aufweisen.
Durch die «gestaltlose» Grundrissfigur können die Baukörper von keinem Standpunkt in ihren eigentlichen Ausmassen erfasst werden. Vielmehr erscheinen einzelne Gebäudeteile in ihren Abmessungen verwandt mit umliegenden Einfamilien- oder Reihenhäusern. Die über Gebäudekanten wechselnde Farbgebung unterstützt durch eine Brechung und Fragmentierung der Volumen diese Strategie der Kontextualisierung. Das Projekt reagiert damit auf die grossen Dichteunterschiede zwischen umgebendem Bestand und Neubauten.
Auch die Aussenräume sollen am «Gartenteppich» der umliegenden Grundstücke anknüpfen. Es wurden allerdings keine abgezäunten Privatgärten angestrebt, sondern ein hybrider, informeller Raumcharakter zwischen privater und gemeinschaftlicher Nutzung gesucht. Dies ist möglich, da auch die Erdgeschosswohnungen ihren Sitzplatz auf einer vor Einsicht geschützten Laube haben. Ähnlich den Reihenhäusern in der Umgebung nimmt mit zunehmendem Abstand vom Gebäude die private Nutzungsintensität ab und die Bepflanzung (freiwachsende Sträucher und kleinere ortstypische Bäume) wird durchlässiger. Inwieweit die Gartenräume gemeinschaftlich oder privat genutzt werden, hängt zudem wesentlich von den jeweiligen Bewohnern ab und kann sich über die Zeit und den Bedürfnissen entsprechend ändern. Sie bieten gleichzeitig Rückzugsraum und die Möglichkeit für engere nachbarschaftliche Kontakte an. An der westlichen und östlichen Parzellengrenze verbinden schmale Fusswege Tram- und Funkwiesenstrasse. Sie gewährleisten die Durchlässigkeit und die Einbindung in das Quartier.
Die Zugangssituationen der Häuser sind im Gegensatz zu den Gärten flach determinierte, mehrfach nutzbare Flächen. Sie befinden sich jeweils an den gegenüberliegenden Grundstücksecken und überlagern sich mit Spielflächen und dem Aussenbereich des Gemeinschaftsraumes. Es wechseln je nach dominanter Nutzung verschiedene Belagsarten (Asphalt, Chaussierung, Rasen). Die Aussenräume am Brüggliäcker werden zum Zentrum der Siedlung.
Durch die vielfältige und ortstypische Bepflanzung mit Apfelbäumen, Zierkirschen und Kiefern wird die Verbindung zu den Gartenstrukturen im Umfeld hergestellt. Die beiden besonders wertvollen Bäume im nördlichen Bereich wurden erhalten. Versiegelte Flächen beschränken sich auf die direkten Hauszugänge. Die vielfältigen Bereiche im Aussenraum decken mit ihren unterschiedlichen Atmosphären verschiedene Nutzungsbedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner ab.
Häuser und Wohnungen
Die Hauszugänge befinden sich verteilt auf den Schmalseiten der Grundstücke. Im Gebäudeinnern sind jeweils zwei Treppenhäuser über eine von aussen einsehbare Halle zusammengeschlossen. Teil dieses gemeinschaftlichen Raumes sind auch Waschküchen sowie ein Raum für Velos und Kinderwägen. Über jedes Treppenhaus werden drei Wohnungen pro Geschoss erschlossen. Alle Wohnungen, auch die vier Reihenhauswohnungen im dritten Baukörper, sind stufenlos und behindertengerecht zugänglich. Der Gemeinschaftsraum befindet sich im Erdgeschoss und öffnet sich zu den zwei zentralen, öffentlichen Zugangsplätzen am Brüggliäckerweg.
Sämtliche Wohnungen verfügen über drei Expositionen und werden durch einen zentralen, offen gegliederten Wohn-, Ess- und Kochraum, der sich zwischen den Fassaden aufspannt, charakterisiert. Einzelne Bereiche dieser Wohnräume besitzen einen informellen, flach determinierten Charakter, wo verschiedene Dinge stattfinden können. Sie funktionieren für Hausarbeit, als Arbeitsplatz oder Spielbereich und erlauben sowohl Familien- als auch Mehrpersonenhaushalten vielfältige Wohnformen. Die Zimmer sind jeweils peripher in den Wohnungsecken angeordnet und direkt vom Wohnraum aus erschlossen. Damit entfallen Korridore, was der Grösse des Wohn-, Ess- und Kochraums zugute kommt. Einzelne Zimmer sind über Schiebetüren zum Wohnraum öffenbar. Das grosse Bad ist so dimensioniert, dass ein Waschturm oder Wickeltisch Platz findet.
Die privaten Aussenräume sind entsprechend der Absicht des «Gartenwohnens» in Form von Lauben grosszügig ausgestaltet. Die Wohnungen verfügen entweder über zwei solche «Gartenzimmer» auf der Ost- und Westseite oder über eine dreiseitig offene Laube.
Architektonischer Ausdruck und Materialisierung
Das Quartier ist geprägt durch hochwertige Bauten aus den 1950er Jahren. Das Projekt sucht eine inhaltliche und stimmungsmässige Verwandtschaft zu diesen Bauten. Um die Grösse des geforderten Bauvolumens zu unterspielen und den Bezug zu den «ländlichen» Vorbildern der Gartenstadt aufzunehmen, sind die Häuser mit einer hinterlüfteten, vertikalen Holzschalung bekleidet. Die vorgestellten Lauben sind in gestrichenem Ortbeton ausgeführt, der die «weiche» Erscheinung der Holzschalungen kontrastiert. Auch die über die Gebäudekanten wechselnde Farbigkeit (an exponierten Stellen eine Lasur, an geschützten Flächen eine Farbe) bricht die Grösse der Volumen mehrfach und vermittelt mit dem Kontext.
Die Tragstruktur ist als konventioneller Massivbau in Ortbeton und Backstein erstellt. Die Lastabtragung erfolgt vertikal. Das Dach ist nur schwach geneigt und als konventionelles, extensiv begrüntes Flachdach ausgeführt. Die Materialien des Innenausbaus sind zweckmässig und robust. Bei der Konstruktion wurde auf eine weitgehende Systemtrennung geachtet, sodass Bauteile entsprechend ihrer Lebensdauer einfach ersetzt werden können. Konstruktionsweisen, Materialien sowie Lüftungskonzept entsprechen den Minergie-Eco-Anforderungen. Die Dämmstärken in Dach und Fassaden sowie die Kompaktheit der Volumen gewährleisten auch die energetischen Anforderungen des Minergie-Standards.
Mitarbeiter Wettbewerb
Peter Baumberger, Karin Stegmeier, Ron Edelaar, Elli Mosayebi, Christian Inderbitzin, Daniel Kaschub
Mitarbeit Planung und Ausführung
Peter Baumberger, Karin Stegmeier, Ron Edelaar, Elli Mosayebi, Christian Inderbitzin, Projektleitung: Mathis Keller, Julia Lang, Katrin Pfäffli, Bauleitung: Julia Lang, Mathis Keller, Praktikanten: Lorenz Mörikofer, Lukas Vogt, Michael Brotzer, Manuel Däster
Zusammenarbeit
Baumberger & Stegmeier Architekten (BS+EMI Architektenpartner AG)
Bauherrschaft
Wohnbaugenossenschaft Bahoge, Zürich
Landschaftsarchitekt: Hoffmann & Müller Landschaftsarchitektur GmbH, Zürich
Ingenieur: Urech Bärtschi Maurer Bauingenieure AG, Zürich
Holzbauingenieur: Timbatec GmbH, Zürich
HLS-Planer: Basler & Hofmann Ingenieure und Planer AG, Zürich
Elektroplaner: Basler & Hofmann Ingenieure und Planer AG, Zürich
Bauphysiker: BWS Bauphysik AG, Winterthur
Publikation
operatie wooncoöperatie, tancityxvaliz 2022
Architekturführer Zürich, Edition Hochparterre 2020
House Tour: Views of the Unfurnished Interior, Park Books 2018
Wohngenossenschaften in Zürich, Gartenstädte und neue Nachbarschaften, Park Books 2017
Zürcher Wohnungsbau 1995–2015, Quart Verlag 2017
idea, 6/2016
cahier de théorie, 13/2016
www.architectural-review.com, 4.10.2016
Wohnen, 11/2014
Wohnen, 5/2012
Zürcher Landzeitung, 21.6.2010
Neue Zürcher Zeitung, 1.7.2009
Tages-Anzeiger, 30.6.2009
Auszeichnung
Arc-Award 2016, 1. Rang Wohnbauten